Vom Schrecken wachgerüttelt

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"Antigone" in einer politisch virulenten Inszenierung in Graz.

Es ist nichts zu sehen. Kein Mord, keine Toten, nicht einmal ein Vergehen. Nur diese verbotene Tat hängt wie ein Fluch über dem Stück und bringt einen nach dem anderen in eine gnadenlose Ausweglosigkeit. Damals wie heute entbehrt Antigones Verlangen, den im Kampf um Theben getöteten Bruder gegen den Willen des neuen Herrschers Kreon zu bestatten, nicht der aktuellen Brisanz.

Diese legt Anna Badoras Inszenierung in Graz beeindruckend streng und unnachgiebig frei und zeigt, indem sie sich nahe an die Tragödie von Sophokles wagt, dass wir es 2500 Jahre später letztlich nicht viel weiter gebracht haben. Die Moderne ist nicht mehr als eine Fiktion. Und das ist bitter.

Heute trägt Kreon (Götz Argus) - wie oft haben wir das schon gesehen - Anzug und Mantel. Er gibt einen verkopften Vertreter der Macht, der für das Recht und die Ordnung des Staates steht. Doch sein Imponiergehabe prallt bei dieser Antigone (Carolin Eichhorst) ab. Sie ist eine zerzauste, fahrige Rebellin, die ihre trotzige Auflehnung gegen das unmenschliche Gesetz wie ein süßes Martyrium erleidet. Die erst dann barfuß erscheint, als sie ihr junges Leben ihrer Unbeugsamkeit opfert, während Kreon, durch späte Reue bestraft, zurückbleibt. Ihn, der jeder Anfechtung souverän standhielt, zwingen am Ende der Tod seines Sohnes Haimon (Dominik Maringer) und das Sterben seiner Frau Eurydike (Frederike von Stechow) in die Knie.

Davon profitiert freilich nur mehr der Chor der Tragödie. Anna Badora führte dafür Menschen verschiedenster Nationen zusammen, die eines gemeinsam haben: Sie alle haben in Graz eine neue Heimat gefunden. In mehr als einem Dutzend Sprachen, asiatischen und vor allem slawischen, assistieren sie 90 Minuten lang zwischen Affirmation und Widerstand dem tragischen Treiben um Herrschaft. Eingepfercht in einen dreieckigen Bühnenaushub (Stefan Brandtmayr) erinnern sie, so an- und übereinander gedrängt, an ein ausgesetztes Flüchtlingsschiff. Man treibt in Richtung neues, vielleicht besseres Leben, den Politschocker von Sophokles vor Augen. Und wir dürfen im Theater durch Schrecken erkennen: die Katharsis könnte folgen.

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