Von der Magie des Charismas

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"Molière auf dem Fahrrad" sieht zwei Schauspielern beim Erarbeiten eines Stücks zu. Regisseur Philippe Le Guay im FURCHE-Gespräch über die eigentlichen Momente der Schauspielkunst.

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"Molière auf dem Fahrrad" sieht zwei Schauspielern beim Erarbeiten eines Stücks zu. Regisseur Philippe Le Guay im FURCHE-Gespräch über die eigentlichen Momente der Schauspielkunst.

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Wie ist das Leben als Schauspieler eigentlich? Sind diese Leute geprägt von Eitelkeit und Selbstüberschätzung oder leiden sie eher unter Unsicherheit und Selbsthass? Philippe Le Guay betrachtet in "Molière auf dem Fahrrad" die sensible Schauspielerseele näher: Zwei Akteure (Fabrice Luchini, Lambert Wilson) erarbeiten einen Text von Molière für die Bühne. Die FURCHE traf den Regisseur in Paris.

Die Furche: Die Macken eines Schauspielers wie in Ihrem Film abzubilden, das kann niemand besser als Fabrice Luchini ...

Philippe Le Guay: Der Film ist sehr nahe am echten Fabrice Luchini. Es ist beinahe schon eine Art Selbstporträt. Es fehlt ihm allerdings die misanthropische Seite, denn Fabrice lebt in Paris, geht oft ins Theater, spielt selbst fast täglich auf den großen Bühnen der Stadt. Aber die Versuchung, die dem Schauspieler im Film widerfährt, nämlich eine Rolle mit Leben zu füllen, die hat er ganz stark. Er kennt auch die inneren Zwänge, die Schauspieler haben, wenn sie vor einer neuen Aufgabe stehen.

Die Furche: Was macht einen großen Schauspieler aus?

Le Guay: Es gibt zwei Arten von Schauspielern: Die einen arbeiten sehr kopflastig, die anderen verlassen sich vorwiegend auf den eigenen Instinkt. Wie alle großen Schauspieler ist Fabrice eine Kombination davon.

Die Furche: Wie wichtig war die Sprache von Molière für Sie?

Le Guay: Ich wollte, dass man den beiden zusieht, als wären sie die Chefköche in einem Haubenlokal. Wenn man ins Kino geht, bekommt man oft ausgezeichnete Gerichte serviert, aber man weiß nicht, wie sie zubereitet wurden. Deshalb war mir wichtig, dem Publikum den Moment zu zeigen, in denen das Gericht gesalzen wird. Man kann wahrscheinlich ein Jahr lang einem großen Schauspieler beim "Kochen" zusehen, und wird das Rezept trotzdem nicht nachkochen können, weil da auch etwas Magisches ist, das sich rational nicht erklären lässt. Hinzu kommt, dass jeder etwas hat, das nicht in Worte zu fassen ist: Das Charisma.

Die Furche: Haben Sie herausgefunden, wie Charisma funktioniert?

Le Guay: Nein, das ist nicht erklärbar. Das ist bei Fabrice Luchini die innere Kraft des Schauspielers, die über seine Augen sichtbar wird. Bei Lambert Wilson ist es eine gewisse Eleganz, die fast britisch wirkt.

Die Furche: "Molière auf dem Fahrrad" ist zugleich Komödie und Drama. Das ist genau das, was Molière wollte: die Komödie dem Drama gleichzustellen.

Le Guay: Ich mag es, wenn die Dinge nicht so eindeutig sind. Ich lasse mich auch gern überraschen innerhalb eines Films - Dramen, die nur ernst sind, oder Komödien, deren einziger Zweck es ist, Witze zu machen, langweilen mich. Ich finde, gute Filme haben Momente der Überraschungen: Es passieren Dinge, die man nicht erwartet. Das schärft die Charaktere und macht den Film für das Publikum zugänglicher.

Die Furche: Was bedeutet Ihnen Molière?

Le Guay: Molière ist eine unglaubliche Inspirationsquelle für mich. Seine Kommentare zur Gesellschaft sind bis heute gültig. Alceste ist eine Figur, die mit allen sehr ehrlich ist. Stellen Sie sich vor, ich könnte zu einem Regiekollegen sagen, dass er den schlechtesten Film aller Zeiten gemacht hat. Stattdessen sagt man: Ach toll, du hast zwei Millionen Zuschauer ins Kino gelockt! Man spielt sich ständig etwas vor im Leben. Molière hat das sehr schön beschrieben. Das ist aber nur der soziologische Aspekt Molières. Doch der Mann konnte noch mehr: Er war ein Genie der Komödie. Die Art, wie er Situationen kreierte, ist unübertroffen.

Die Furche: Sprache und Sprachmelodie in seinen Texten scheinen sehr komplex.

Le Guay: Es gibt Stücke in Prosa geschrieben, die sehr leicht zu verstehen sind. Und dann gibt es Stücke in Versform, die einen ganz anderen Zugang verlangen. Da hilft der Sprachrhythmus sehr, auch, wenn man nicht jedes Wort versteht, das Molière schreibt. Es kann vorkommen, dass man hier zehn Zeilen überhaupt nicht versteht, dann folgen drei Zeilen, die im Kopf explodieren.

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