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Peter Brook eröffnete mit einer theatralischen Verbeugung vor dem Sufimeister Tierno Bokar das Schauspiel-Programm der Wiener Festwochen.

Ein Festwochen-Start als Huldigung an einen ganz großen Meister des europäischen Theaters: Geburtstags-Jubilar Peter Brook - seit über 30 Jahren in der Auseinandersetzung mit Rassismus und Nationalismus - eröffnete das Schauspielprogramm mit seiner theatralischen Afrika-Recherche "Tierno Bokar". Karenz-Schauspieldirektorin Stefanie Carp hat die heurigen Festwochen thematisch an der Dritten Welt orientiert, und Brook macht als Sicherheitsgarant für einen erfolgreichen Start den Auftakt.

Auf seiner legendären schwarzen "leeren Bühne" hat er einen Entwicklungsroman realisiert: Nach dem Buch "Der Weise von Bandiagara" des afrikanischen Autors Amadou Hamapté Bâ, der den Werdegang seines Lehrmeisters Tierno Bokar (1875-1939) beschreibt, zeigt Brook eine epische Afrika-Expedition. Der Islamgelehrte Bokar, Gründer einer Koranschule und Lehrer spezieller Erinnerungstechniken, ist Brooks Integrationsfigur für Toleranz auf seiner Reise ins Innere Afrikas. Der historisch-politische Kontext: eine zerrüttete religiöse Gemeinschaft, die sich wegen der Frage bekämpft, ob das tägliche Morgengebet, die "Perle der Vollendung", elf- oder zwölfmal in Folge durchzuführen sei. Massaker, Kämpfe, Krieg im französisch kolonialisierten Bandiagara.

Die Bühne des Ronacher markiert das afrikanisches Dorf: ein Baum, Decken, zwei Musiker (Toshi Tsuchitori, Antonin Stahly) und Brooks international besetzte Truppe. Davor Polsterplätze, fast eine familiäre Probensituation, in der Brook seinen Jüngern den Weg in die Stille verkündet.

Im Rahmen seines 1971 gegründeten Centre International de Création Théâtrale (c.i.c.t.) beschäftigt sich der mittlerweile 80-jährige Regisseur mit verschiedenen Kulturen. Sotigui Kouyaté ist als die zentrale Figur des Sufi-Meisters Tierno Bokar zu sehen. Durchgängig idealisiert hält er sich an die literarische Helden-Saga: "Jede einzelne seiner Gesten war maßvoll. [...] Jeder wusste, dass es schon genügte, neben ihm zu sitzen." In getragener Atmosphäre spielt er eindrücklich den weisen Mystiker neben dem langjährigen Brook-Darsteller Bruce Myers. Dieser prüft als hektischer Kolonialherrscher die Koran-Schüler, ob sie auch anständig "Paris" aussprechen können. Die Ironie dabei: authentisch färbt der Akzent des multikulturellen Ensembles ihr Französisch, die Sprache der Kolonialherrscher.

Brooks Bedingung an das Theater ist, die eigene Phantasie zu wecken. Aber diesmal deutet sich die Brook'sche Andeutung nur mehr selbst an, und der vertraute Festwochenzuseher-Blick baut ganze Häuser fertig, wenn der Protagonist die eindeutige Maurer-Handbewegung setzt. Brooks Ehrfurcht vor einem großen Mann der Geschichte bleibt in der theatralen Verbeugung stecken. Mit getragenem Gestus zeigt uns die Truppe eine afrikanische Passionsgeschichte als Meditationsübung. Dabei agiert das Ensemble in sich höchst stimmig, das Zelebrieren aber macht das knapp 90-minütige Gastspiel bisweilen mühsam.

Brooks unglaublich sanftes, leises Plädoyer für Toleranz könnte da von manchem auch als banal betrachtet werden. Wie die Kernaussage des Stücks: Es gibt drei Arten von Wahrheit, deine, meine und die Wahrheit. Ein wunderbar wahrer Satz, dessen Sicherheit aber auch den routinierten Blick des Theateraltmeisters zu trügen vermochte.

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