WIr Katastrophenvoyeure

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Kathrin Röggla analysiert in ihrem neuen Buch die Alarmbereitschaft einer Gesellschaft, die mit Katastrophen und Ausnahmezuständen lebt.

„mal sehen, ob die wälder wieder brennen, mal sehen. ob starke hitze uns entgegenschlägt, mal sehen, ob der rauch die tiere aus den büschen treibt … mal sehen, ob sie wieder auf der brücke stehen und hinuntersehen, einen steinwurf weg von ereignissen, die sie doch nicht verstehen. mal sehen, ob sie dann zu anderen dingen übergehen, weil ihnen gar zu langweilig wird. mal sehen, ob sich wieder was tut.“

Katastrophen und Ausnahmezustände – neben Ökonomie und Arbeit Kathrin Rögglas Themen, wie sie in einem Interview mit der Berliner Literaturkritik erwähnt – gehören bereits zu unserer Wahrnehmungsarchitektur. Dabei interessiert Röggla, wie mediale Krisenphraseologie unsere Gesellschaft überschwemmt und eine latente Alarmbereitschaft weckt, die sich in seltsamer Weise mit Gelassenheit, Distanz und Abstumpfung paart. Mit dem Phänomen des Worst-case-Diskurses, der sukzessive in unsere heutige Gesellschaft hineinwächst und uns prägt, beschäftigt sich Röggla schon länger. Auch in ihrem neuen Buch „die alarmbereiten“ legt sie den Fokus auf die mediale Manipulation unseres Lebens, die darauf abzielt, ein sicheres Krisenbewusstsein zu wecken.

Wie bereits in früheren Büchern sucht man auch hier vergeblich nach durchgehender Handlung, vielmehr überwiegt der Modus der Dokumentation, den Röggla wie in ihrem Roman „wir schlafen nicht“ durch die exzessive Verwendung des Konjunktivs verstärkt. Dadurch schiebt sie in Brecht’scher Manier eine Ebene der Verfremdung zwischen Figur und Leser. In sieben Kapiteln konturiert Röggla einen breiten thematischen Bogen, der sich von Naturkatastrophen, Finanzkrise bis zum Fall Natascha Kampusch spannt.

Untätige Statisten

In erhellender Klarheit zeigt sie die permanente Gefahr, zum Voyeur zu werden, zum untätigen Statisten in einer medial gesteuerten Welt, die Katastrophen mitzuverantworten hat. Im ersten Kapitel geht es um Desastertouristen, die in einem scheinbar geschützten Seminarraum den Ablauf einer Katastrophe beobachten und kommentieren. Dabei haben sie die Matrix des Szenarios bereits im Kopf, warten auf das Eintreffen der einzelnen Koordinaten und wundern sich über die mangelnde Reaktionsfähigkeit der Betroffenen, bis sie sich ungeplant selbst in die Katastrophe hineinkatapultieren.

Durch die globale digitale Vernetzung lebt man mit Krisenherden und Kassandrarufen, integriert Bedrohungen in seinen Alltag und verharmlost sie, womit „die ansprechbare“ kämpft: „keine sorge, sie wolle mir den klimaoptimismus nicht nachträglich aufzwingen, … ob ich wisse, dass ich die dosis runterschrauben müsse von zeit zu zeit, die alarmdosis …? denn die reaktionsbereitschaft sinke .... es habe sich sozusagen ausalarmiert.“ Selbst das eigene Kind kann als „tickende zeitbombe“ gesehen werden, wie eine Elternsprecherin einer Mutter vorwirft. Schließlich stünden Gewalt, Unruheherde und verweigerte Kommunikation in der Schule an der Tagesordnung – und Extreme machten auch vor Kindern nicht halt.

Drastische Bilder

Besondere Aufmerksamkeit schenkt Röggla den Mustern einer neuen Krisenmetaphorik, die sich in drastischen Bildern in unsere Sprache senkt. Gerade auch an der Sprachverwendung zeigt sich, wie genau Röggla recherchiert und wie treffsicher sie mediale Versatzstücke in ihren Text montiert. Zwischen hochgehenden Finanzbomben und einer „toxischen kreditflut“ stößt man auf „insolvenzhasen“ und „betriebsalzheimer“.

Röggla durchmisst mit seismografischem Gespür und geschärftem Blick gesellschaftliche Realitäten und mediale Inszenierungen. Mit diesem Buch ist ihr wieder ein Stück brillanter Zeitdiagnose gelungen.

die alarmbereiten

Von Kathrin Röggla Zeichnungen: Oliver Grajewski S. Fischer 2010 190 S., geb., e 19,50

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