Wo Abschaum ist, das Paradies erkennen

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Über Ulrich Seidls "Paradies“-Trilogie wurde schon viel geschrieben. Was aber interessiert und bewegt einen katholischen Pfarrer daran?

Viel ist Ulrich Seidls "Paradies“-Trilogie beachtet und besprochen worden, vom Autorenstil bis zum christlichen Fundamentalismus oder den Schauspielern - aber auf den Titel wurde schlichtweg vergessen. Gerade noch hat man Ödön von Horváths "Glaube Liebe Hoffnung“ erwähnt, und Seidls Werk steht in der Volksstück-Tradition. Aber das Zitat stammt aus dem ersten Korintherbrief, und dort fungiert es als Verweis. Aber der Reihe nach!

Drei starke Frauen sind es, die in diesen verschränkten Stücken ihr Leben in die Hand nehmen. Teresa will sich als Sextouristin etwas gönnen, ihre Schwester Anna Maria will Österreich wieder katholisch machen, und die Tochter Melanie will sich verlieben. Sie lassen sich auf gewagte und verfängliche Situationen ein, riskieren viel und ertragen Rückschläge. Sie bleiben sich treu, und das kann zugleich als Stärke und als Schwäche gesehen werden. Um die Situationen zu begreifen, die sie zu bestehen haben, soll zunächst das Monströse beachtet werden, das dem Zuseher gleich anfangs ins Auge sticht. Mutter und Tochter sind fettleibig, und erscheinen unbeweglich und gebrandmarkt. Man ist gespannt auf die Liebesabenteuer und versteht ihre Bedürfnisse als Zumutung.

Das wirklich Monströse

Aber das wirklich Monströse entwickelt sich erst richtig in den europäischen Belehrungen der Afrikaner über Sexualität, im Eintauchen in die dörflichen Beziehungslabyrinthe, in den Enttäuschungen der Betrogenen und erst recht in ihren finalen Vergeltungsversuchen. Man kann sagen, dass gerade Teresas fester Entschluss das wirklich Monströse hervorbringt, und das ist als Gleichnis oder Wiederholung der ganzen Geschichte des Kolonialismus zu sehen. Das Beharren am Glücksversprechen, das man sich leisten zu können glaubt, bringt nach und nach die abgründige Hybris ans Licht, die schon im Grundgedanken liegt. Aber das Monströse hat weitere Dimensionen. Fernando Botero hat Adam und Eva gemalt. Dort ist das Paradies ein nackter Steinboden, auf dem sie stehen. Der geistlose Blick der beiden erkennt aber das Paradies nicht: Sie wissen nicht, was am Spiel steht. Auch das ist das Monströse.

Diese Aufblähungen sind ein Merkmal von Seidls Wort- und Bildsprache. Man hat das schon in "Hundstage“ in den gewalttriefenden Szenen in der Gemeindewohnung gesehen, wo der Proletendarsteller Georg Friedrich als Lucky die Lehrerin rächen möchte für erlittene Erniedrigungen, oder in den Inszenierungen des in die Enge geratenen Vertreters mit der Anhalterin. Dabei lässt Seidl jeweils dieses maßlos Übertriebene in eine Konfrontation hineinlaufen: die Liebe in Gewalt (Hundstage), die erwachende Sehnsucht Melanies in militärischen Drill, die katholische Ordnung Annas in chaotische Wohnungen und unklare Erwartungen. Ihre übertriebene Glaubenszumutung in fremden Hausfluren wird gebrochen von der Zurückweisung ihrer Moralkritik, in der Swingerszene im Park, aber vor allem vom Blick des zurückgekehrten muslimischen Gatten, der wütend in die Garagenliturgie einbricht und sie entgeistert und wortlos wieder verlässt. Teresas Hybris scheitert an der Verweigerung des Liebesdienstes des Hotelangestellten. Die erfrischende Lebendigkeit und Gefühlswärme der Kindergruppe prallt auf eine erschreckende Leblosigkeit der beiden Trainer und ärgerliche Unprofessionalität des Kinderarztes. Melanies Lebenshunger scheitert, als ihr willenloser Körper in der Diskothek bearbeitet wird - aber immerhin wird sie doch vom angehimmelten Arzt gerettet. Dem Monströsen entspricht die Sprachlosigkeit.

Weiters sind die Milieus interessant, in denen sich solches zutragen kann. Ich würde diese Orte als Prekariat bezeichnen, und das ist gar nicht soziologisch gemeint. Das sind die Quartiere des afrikanischen Dorfes ebenso wie die Küchen und Schlafzimmer der Wiener Mietwohnungen und das Untersuchungszimmer des Kinderarztes. Das Prekariat sind die fragwürdigen existenziellen Situationen, in die Seidls Figuren hineinlaufen und die den Zuseher so peinlich berühren.

Ulrich Seidls pastoraler Blick

Man könnte sagen, im Prekariat erweist sich, dass die vermeintliche Souveränität der Protagonistinnen nicht bestehen kann. Trotzdem behalten sie, auch im Scheitern, die Richtung bei: Teresa schleppt sich alleine, vornübergebeugt, über den Strand. Bekehrung gibt es jedenfalls keine, Seidls Protagonistinnen ändern ihr Leben nicht. Sie sind Heldinnen vor Übermächten, die sie nicht kennen.

Dieses alles nun anzuschauen, diese großen und kleinen existenziellen Katastrophen, diese Hässlichkeit und Ausweglosigkeit, ohne zu entschuldigen oder zu kritisieren: Das ist der pastorale Blick dieser Filme, der vom Filmemacher den Kinogehern zugemutet wird. Es mag eine franziskanische Geste sein, in dieses Elend hineinzugehen und es auszuhalten ohne Lösung. Es kann aber auch paulinisch verstanden werden, heißt es doch im Korintherbrief: Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse. Mit dem Blick der Liebe kann dort, wo Abschaum ist, etwas Paradiesisches erkannt werden. Das Schwache ist der Ort der Offenbarung, erinnert uns Seidl.

Der Autor ist katholischer Pfarrer von Klagenfurt-Welzenegg

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