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Mit "Paradies: Liebe“ kommt Ulrich Seidls erster Teil seiner filmischen Trilogie über die drei "göttlichen“ Tugenden - Glaube, Hoffnung, Liebe - ins Kino. "Reiche“ Sugarmamas aus Europa kaufen sich Beachboys an den Stränden Kenias. Die einen wollen Liebe, die andern Geld. Das Glück ist anderswo.

Keine Frage, es geht hier um religiöse Konnotation. Die christliche Tradition nennt sie die drei göttlichen Tugenden, wie sie am Ende des "Hohelieds der Liebe“ im ersten Korintherbrief genannt werden, wobei dort der Liebe gegenüber den beiden anderen - Glaube und Hoffnung - der Vorrang eingeräumt wird. Und auch das verbindende Titelwort in Ulrich Seidls filmischer Trilogie - Paradies - nimmt die transzendente Dimension in den Blick.

Man lässt sich aber auch nicht täuschen, denn Ulrich Seidl polarisiert seit Langem, seiner Fangemeinde stehen auch Gegner der ungeschminkten bis unerträglichen Darstellung abgründigen Menschseins gegenüber. Das ist bei der "Paradies“-Trilogie nicht anders - wenn auch in Abstufungen.

Denn "Liebe“, der erste Teil, der in Cannes unter anderem mit Michael Hanekes gleichlautend betiteltem Meisterwerk um die Goldene Palme ritterte (bekanntlich: erfolglos), regte weniger auf als "Paradies: Glaube“, der beim Festival von Venedig im September den "Skandal!“-Aufschrei samt Blasphemie-Vorwurf hervorrief, aber dortselbst auch zwei Preise einheimste. Und der "Hoffnungs“-Teil des Opus Magnum wird vermutlich bei der Berlinale 2013 seine Premiere erleben.

Angesichts solch religionskämpferischer Auspizien ist es gut, dass hierzulande zunächst der Liebes-Film aus der "Paradies“-Reihe anläuft. Denn die Rede von der Verächtlichmachung von Religion verstellt den Blick auf Seidls Anliegen ebenso wie auf dessen formale Umsetzung. Es scheint aber wichtig, sich auch damit auseinanderzusetzen und nicht bloß den durchaus bewussten Provokationen des Filmemachers auf den Leim zu gehen.

Seidls perfektionierter Filmstil

Einmal mehr perfektioniert Ulrich Seidl hier seinen Filmstil: Die kühle bis eiskalte Distanz zum Geschehen scheint den Filmemacher zu exkulpieren und den Zuschauer gleichzeitig zum Komplizen des Gezeigten zu machen. Die Bilder sind komponiert und artifiziell, als ob die Kamera nichts als ein Skalpell der Seele sei.

Dazu die dokumentarische Anmutung des Ganzen: Seidl schiebt einmal mehr das Genre des Dokumentarfilms vor, um seine Geschichten auszubreiten. Und es sind trotzdem Filmerzählungen, auch wenn deren Gehalt durchaus das schillernde Menschsein dokumentiert, die unerfüllte Sehnsucht nach dem Paradies, hier konkret: nach Liebe, die aber ungestillt bleibt. Denn diese ist nicht zu erringen, weil dem Visavis nicht auf Augenhöhe begegnet werden kann - aus strukturellen wie aus letztlich politischen Gründen.

Da prallen Welten aufeinander: In der einen glauben sie, Liebe käuflich erwerben zu können. Und in der anderen vermeint man, dass durch das Eingehen auf diese Käuflichkeit für das eigene, materiell dürftige Dasein ein wenig Leben und vielleicht auch ein wenig Lebenswürde möglich wird.

Doch das vorgebliche Paradies ist von dieser Welt, und diese Welt erweist sich als erbarmungslos - sie hinterlässt hüben wie drüben Wunden und Narben. Der Betrachter im Kino darf dabei zuschauen, wie dies alles nur noch schlimmer wird, als er es sich in trüben Träumen ausmalen könnte.

Dieser Kampf der Kulturen via Prostitution ist nicht neu. Dass Menschen aus dem reichen Norden im minder begüterten Süden ein wenig - körperliches - Glück suchen, das ihnen zu Hause verwehrt wird, erschien schon längst und oft thematisiert oder wurde von literarischen (und auch filmischen) Hedonisten wie Michel Houellebecq bis zum Überdruss ausgewalzt.

Die Facette, die Ulrich Seidl anbietet, besteht in einer Umkehr der Verhältnisse: In "Paradies: Liebe“ sind es nicht frauen- und mädchenschändende Männer, die sich an der fremden Kultur vergreifen, sondern hier reisen unerfüllt lebende Protagonistinnen der nördlichen Zivilisation gen Süden, auf dass es ihnen die jüngeren Männer, die sich da an den Stränden von Kenia anbieten, besorgen.

Teresa (Margarethe Tiesel), eine beleibte Wienerin um die 50, lässt Tochter und Katze bei der Schwester zurück und gönnt sich mit Freundin und Gleichgesinnten eine vermeintliche Auszeit am Indischen Ozean: Die "reichen“ Frauen aus dem fernen Gemeindebau (oder dem mühsam ersparten Eigenheim) werden von den Einheimischen "Sugarmama“ genannt, die die "Beachboys“, junge Kenianer, die am Strand auch ihren Körper feilbieten, aushalten - mit Geld, mit Sachwerten wie einem Motorrad oder gar einem Auto.

Doch die armen reichen Europäerinnen und die armen armen Beachboys, die oft selber eine junge Familie durchzubringen haben, kommen nur über die Geschäftsbeziehung zusammen. Auch wenn Geld fließt, wird bald klar: Liebe ist nicht käuflich. Und das Paradies schon gar nicht. Das muss auch Teresa erfahren.

"Paradies: Liebe“ erzählt ungeschminkt von diesem wahrhaft kolossalen Missverständnis. Ulrich Seidl gelingt es jedenfalls, zu zeigen, wie dies auf beiden Seiten mit Verletzungen einhergeht.

Ein kolossales Missverständnis

Das bedeutet natürlich nicht, dass der Film behauptet, die Menschenwürde würde von beiden Seiten gleichermaßen mit Füßen getreten. Aber diese Häufchen Elend aus dem Norden, die sich da von stattlicher Manneskraft im Süden ein wenig Glück holen wollen, stellen auch nicht ausschließlich den "bösen“ Part in diesem Clash of Civilizations dar.

Ulrich Seidl mutet den durch die Bank hervorragenden Schauspielerinnen und Schauspielern Extremes zu, auch an körperlicher Darstellung und Entäußerung. Wie immer bei diesem Regisseur formte er Profis (drei der Sugarmamas) und Laiendarsteller zu einem stimmigen Ensemble. Für den Zuschauer bleibt es eine Zumutung, an diesen sexuellen Versuchen, die nie und nimmer als Liebe verbrämt werden, teilzunehmen.

Es bleibt dennoch der Nachgeschmack, dass Ulrich Seidl in diesem künstlichen und eisern komponierten Setting ganz schön wahrhaftig bleibt. Das ist ihm anzurechnen.

Ob ihm solche Distanz, diese im Wortsinn tropische Kälte, auch bei der Glaubens-Frage, also dem zweiten Teil seiner Trilogie, gelingt, wird man verhandeln müssen, wenn "Paradies: Glaube“ ins Kino kommt.

Dieser Film wird jedenfalls starker Tobak werden - das sollte nach "Paradies: Liebe“ längst sonnenklar sein. Die göttliche Tugend "Glaube“ stilistisch wie inhaltlich Ulrich Seidl zu überlassen, birgt den Keim ganz besonderer Herausforderung, wenn nicht gar immanenter Unmöglichkeit in sich.

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