Weiße Priester der TOTEN TIERE

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Ulrich Seidl verfolgt in seinem neuen Film "Safari" europäische Kleinbürger, die in Afrika zu Großwildjägern mutieren.

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Ulrich Seidl verfolgt in seinem neuen Film "Safari" europäische Kleinbürger, die in Afrika zu Großwildjägern mutieren.

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Er: Vom Eland (sprich: ,Ihländ') der Lungenbraten ist ein Traum im Quadrat. Kannst dir aufschreiben - Sie: Ja, der hat auch viel Kilo. - Er: Einen Lungenbraten von zwölf Kilo hat der Eland das ist - Sie: Ein Traumfleisch. - Er: Einen Lungenbraten mit zwölf Kilo hat bei uns ja nicht einmal eine Kuh."

Man hat die beiden ja schon in der Souterrainparabel "Im Keller" gesehen, wo sie im Stüberl zu Hause inmitten ihrer Trophäensammlung aus afrikanischen Wildabschüssen saßen. Nun hat Ulrich Seidl das traute Paar österreichischer Ausgefressenheit auch in seinen nächsten Film gebeten: "Safari", des Film-Meisters neuester Streich, entpuppt sich aber als weitaus stringentere (und bekömmlichere) Kost als die abartige Freakshow, mit der Seidl sein Publikum bei "Im Keller" behelligte.

Dabei ist der Filmemacher auch in "Safari" keineswegs zum Menschenfreund mutiert. Der Seidl-Kosmos lebt wie eh von der Misanthropie. Und natürlich bleibt der Meister seiner Ikonografie und Bildkomposition treu: Einmal mehr finden sich die Protagonist(inn)en in den Seidl-Tableaus arrangiert, die die alltäglichen Belanglosigkeiten einmal mehr ins Monströse übersteigern.

Belanglosigkeiten? Der Kontext allein macht aus den scheinbar unschuldigen Plaudereien Zeugnisse impertinenter Unmenschlichkeit, die beim Zuschauer Zornesadern schwellen lässt. Aber man hat - nochmals im Vergleich zu "Im Keller" - dadurch, dass Ulrich Seidl seine Weitsicht auf ein einziges Phänomen reduziert, kein Panoptikum der Abartigkeiten vor sich, sondern das Aufeinanderprallen europäischer Dekadenz und afrikanisch-sklavischer Anmutung. Die Schwarzen können deutlich schneller laufen "als wir", lässt Seidl die Gattin des Lodge-Besitzers in Namibia sagen: Sie hätten andere Muskelfasern. Und der Gespons präzisiert: 20 Prozent mehr pro Quadratmillimeter, ein längeres Fersenbein - also klar: Schwarz schlägt Weiß. "Wenn sie wollen", setzt die Ehefrau hinzu.

Entwicklungshilfe per Tiertötung

Die letzten drei Zitat-Worte umreißen das Gefälle, um das es in "Safari" geht: Man muss gar kein Oligarch oder Multimilliardär sein, um in den Steppen Namibias Gnus, Giraffen, Kudus, Zebras und anderes Getier zur Strecke zu bringen. Eine kleine, aber feine Schar europäischer Jagdtouristen kommt hierher, um für ein wenig Geld das Steppenvieh zu erlegen. Eine Win-Win-Situation, wie einer der Trophäenjäger im Film zum Besten gibt: "Ein Jagdtourist gibt hier in einer Woche mehr aus als ein normaler Tourist in zwei Monaten." Das sei dann eigentlich eine Sache, "von der alle Leute etwas haben".

Entwicklungshilfe per Tiertötung -wenn das nicht abgefahren ist. Man kann (und soll) Seidl vorwerfen, dass er sich auch in "Safari" einer künstlichen Zuspitzung befleißigt, dass er die Wirklichkeit seinem Zerrbild des Menschen gemäß verbiegt. Aber trotzdem ist das hier dargestellte Abgründige keineswegs so absurd, dass man das alles ins Reich der Trugbilder abtun könnte. Ja, man kennt die europäischen Stammesgenossen, die die vorfindliche wilde Natur im Süden Afrikas für ihr eigenes kleinbürgerliches Vergnügen missbrauchen und dies auch noch als Wohltat verkaufen.

Es geht in "Safari" aber beileibe nicht nur um das politisch unkorrekte Verhalten der Nachfahren einstiger Kolonialherren. Sondern Seidl gräbt tiefer und lotet die Untiefen der Existenz seiner Jäger und Trophäensammler aus: Ihn habe interessiert, was Menschen umtreibt, dass sie beim Töten von Tieren solche Gefühle entwickeln, wie sie der Film zeigt.

Quasirituelle Anmutungen

Und die sind wahrlich verstörend: Eine traute Familie beim Ausflug in die ferne Savanne. Papi, Mami und die halbwüchsigen Kinder berauschen sich am finalen Schuss und fallen einender weinend vor Glück in die Arme, wenn sie einen alten Giraffenbullen in die ewigen Jagdgründe befördert haben. "Nach dem Schuss. Ja, da bin ich so aufgeregt, da kann ich kaum mehr", gibt die Frau Mama vor der Kamera zum Besten. Und der Sohnemann sekundiert: "Eigentlich erlöst man nur die Tiere."

Spätestens in derartigen Dialogen wird die religiöse Ebene offenbar, die sich in "Safari" auch breitmacht: Die weißen Priester und Priesterinnen und die schwarzen Tempelknechte (letztere kommen im Film nur als stumme Dienstboten vor, die dem Jäger/der Jägerin beistehen und danach die Beute häuten und ausnehmen). Dann das Blut, das aus den getöteten Kreaturen ausgewaschen wird -eine Katharsis, wie sie die Religionsgeschichte seit alters her kennt, und die hier in groteske Banalität überboten erscheint. Dazu zeigt Seidl auch den Ausweidevorgang, eine Szene an der der Kult(ur)priester Hermann Nitsch seine Freude haben dürfte.

Dennoch ist das alles keine triviale Schau; der hehre Dienst an der Gottheit mag ja durch ein niederösterreichisches Paar, das sich einer Proletensprache bedient, ein wenig in Mitleidenschaft gezogen werden. Auch das Warten auf Beute zweier vierschrötiger Alter im Verschlag, das so lange dauert, dass der eine in lautes Schnarchen verfällt, steuert der quasirituellen Anmutung etwas befreiend Komisches bei.

Aber bei aller Groteske legt Ulrich Seidl Fragen von Leben und Tod, von Existenz und Vernichtung frei -und lässt seine Herrenmenschen gar nicht gut wegkommen. "Das Grundübel ist der Mensch selber", bringt Seidl den Lodge-Besitzer zum Sinnieren: "Wenn wir verschwinden, würde es der Welt höchstwahrscheinlich nur besser gehen."

Nochmals: Misanthropie pur. Aber leider keine falsche. Darin liegt einmal mehr die Größe dieses Seidl'schen Opus.

Safari A 2016. Regie: Ulrich Seidl. Stadtkino. 90 Min.

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