Pythons und andere Kellerwesen

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Nazis, Ehesklaven, Trophäensammler etc. "Im Keller": Einmal mehr arrangiert sich Ulrich Seidl das Leben als Freakshow zusammen.

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Nazis, Ehesklaven, Trophäensammler etc. "Im Keller": Einmal mehr arrangiert sich Ulrich Seidl das Leben als Freakshow zusammen.

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Schon das zweite Souterrain, an dem Ulrich Seidl in seinem neuen Opus - nach eigenen Angaben ein "Filmessay" mit dem er zur "dokumentarischen Form" zurückgekehrt ist -, teilhaben lässt, ist Metapher pur: Ein Terrarium findet sich hier, wie gewohnt als "Seidl-Tableau" arrangiert, darin eine ausgewachsene Python, reglos. Vor dem Kopf der Schlange schnabuliert unschuldig ein Meerschweinchen (oder ein verwandtes Nagetier) an einigen Halmen herum. Unerbittliches Warten, denn Herr und Frau Zuschauer wissen, was kommen muss. Quälende Sekunden. Gefühlte Minuten. Und es kommt.

Eigentlich verrät Seidl schon hier seine Sicht der Dinge - und gibt vor, als kaltschnäuziger, unbeteiligter Beobachter nur zu warten, was einen die Protagonisten vor der Kamera so alles anschauen lassen. Das Leben, die Welt, die Natur (ja, auch jene des Menschen) sind nichts als Abgrund. Und der Titel des Ganzen, "Im Keller", erweist sich als Abklatsch von Witz. Eigentlich könnte man schon hier missmutig nach Hause gehen (was vielleicht besser wäre, als missmutig bis zum Ende auszuharren), denn man darf gewiss sein, die Pythonmetapher aus dem Keller noch gut zwei Dutzend Mal in ebensovielen Szenarien vorgesetzt zu bekommen.

Wie oft schon hat Ulrich Seidl weiszumachen versucht, dass das Leben im Allgemeinen und hierzulande im Besonderen nichts als eine Freakshow ist? In "Im Keller" beweist er sich dies bloß einmal mehr.

Ach ja, dann die nächste abgeschmackte Wort-Zugabe, die einem zu "Keller" einfällt: Nazi. So kommt der mehr als ein wenig gestrige Allessammler Josef Ochs aus dem schönen Burgenland zur zweifelhaften Ehre, Österreichs angesagtester Kellernazi zu sein. Zurzeit zumindest. Und die braven Blasmusiker, die mit dem merkwürdigen Kauz da unterm Hitlerbild saufen und singen, reiben sich heute, fünf Jahre nachdem die Szene gedreht wurde, die Augen, weil sie offenbar nicht wussten, was sie taten. Nachdem ruchbar wurde, dass es zwei der Wackeren, die sich da filmen ließen, in die Dorfpolitik verschlagen hat, waren diese ihre Gemeinderatssitze und die zugehörige Parteimitgliedschaft schon los. Wo ein Keller, da auch ein Kellernazi: Auf solche Erkenntnis hatten wir schon lang gewartet. Aber muss man nicht neidlos zugeben, dass dem Film "Im Keller" schnell ein verkaufsförderndes Skandälchen gelang? Ist doch respektabel. Oder?

Neuer und doch so alter Seidl-Kosmos

Die Python war in diesem neuen und doch so alten Seidl-Kosmos die sanfte Spielart eines Keller-Wesens. Die menschlichen Varianten davon, suggeriert Seidl, haben es noch mehr in sich. Kaum eine Abart(igkeit) lässt er da aus. Ein verhinderter Opernstar, 70, betreibt unter der Erde einen Schießstand - und lässt das p.t. Publikum daran teilhaben, was er stimmlich (nicht mehr) drauf hat. Oder das Ehepaar aus Niederösterreich, das mit Jagdtrophäen aus Südafrika das traute Kellerstüberl überlädt. Oder die Waschküche im Gemeindebau: Wenigstens einmal ein Keller, aus dem die Abnormität nicht zum Himmel stinkt, in dem aber die vierschrötigen Bewohnerinnen fürs notorische Seidl-Tableau so arrangiert werden, dass Dumpfheit wie das Weiße aus den Augen quillt. Einmal mehr sind hier selbst in den scheinbar harmlosesten Einstellungen nicht Menschen, sondern Monster unterwegs. Freakshow, die x-te.

Die gefilmte Menschenverachtung steigert sich in den drei gezeigten Sexualkellern noch weit darüber hinaus: Frau Sabine ist Masochistin. Und arbeitet bei der Caritas, wo sie Opfer von Gewalt berät. Sie lässt sich schlagen, man darf an den gezeigten Schmerzbildern teilhaben. Da erfreut einen die Nebenerwerbsprostituierte mehr, die einmal Supermarktkassiererin war ("Irgendwie gefällt mir der Verkauf nicht mehr, man muss immer freundlich zu den Leuten sein "). Und der zugehörige Mann betört die Zuschauer(innen)schaft, indem er die Strahllänge seines Samenergusses taxiert. Doch all das ist noch gar nichts im Vergleich zum Sadomaso-Paar, miteinander "glücklich" verheiratet, er: "Mein Ehesklave", wie Frau Domina zum Besten gibt. Selbiger reinigt das Bad durch Abschlecken, und wem das nicht genügt, der muss ja nicht die Augen schließen, wenn sich der Herr Göttergatte dann im Keller an den Testikeln aufhängen lässt. Und leidet.

Das alles mag eine Hetz sein. Lustig ist es nicht. Erst recht nicht die Beklemmung, welche von den Kellertaten der Frau Alfreda Klebinger ausgeht. Diese verheiratete Zeitgenossin über Fünfzig begibt sich, erzählt "Im Keller", Schlafrock-gewandet über vier Stockwerke hinunter in ihr Abstellkammerl, wo sie hinter sich die Tür zusperrt, um dann aus diversen Kartons lebensechte Neugeborenen-Puppen hervorzukramen. Sie nimmt ihre "Babys" an die Brust und singt Schlaflieder: Tiefer kann die Vereinsamung nicht sinken, abgefahrener keine Mutterliebe sein. Jede Gefühlsregung bleibt dem Zuschauer da im Hals stecken.

Doch Alfreda Klebinger gibt es nicht. Es handle sich um eine Fiktion, erklärt Ulrich Seidl im Interview mit der Filmzeitschrift Celluloid (www.youtube.com/watch?v=934GJdjuB7Y). Von wegen "dokumentarische Form": eine dreist zusammengezimmerte Weltsicht stellt "Im Keller" dar. Die Guckkästen der Seidl-Tableaus verlangen nach einer drastischen Dramaturgie, Harmloses kann, so die Seidl-Ideologie, auf diese Weise nicht dargestellt werden. Mag ja sein, dass das eine oder andere Setting auch im Leben vorfindbar ist. Wenn nicht, dann erfindet der Meister das, was ihm fehlt, dazu. Das Feuilleton hierzulande lässt ihm das nicht nur durchgehen, sondern hofiert ihn beinahe unisono.

"Im Keller" ist ein Paradebeispiel für die Abgründe heimischen Filmschaffens. Ob man sich diesen Seidl-Film antun sollte, ist aber eine ganz andere Frage.

Im Keller

Ö 2014. Regie: Ulrich Seidl. Stadtkino. 85 Min.

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