In der Intimsphäre des Betens

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Nun kommt Ulrich Seidls Film "Jesus, Du weißt", den die furche im Wiener Votiv Kino präsentierte, ins Kino. Noch ein Jesus-Film? Ja, ganz anders als der Gibson-Hype, aber mindestens so diskussionswürdig.

Eigentlich würde sie, so die Filmhistorikerin Birgit Flos, beim Podiumsgespräch über die Gibson-Passion (siehe oben), viel lieber anhand von differenzierter argumentierenden Filmen religiös-ethische Fragen diskutieren. Dem Ansinnen kann Genüge getan werden, denn Ulrich Seidls "Beichtfilm" "Jesus, Du weißt" ist zweifelsohne ein Werk, mit dem man sich hundertmal lieber auseinandersetzen mag, als mit dem filmischen Religions-Blutrausch, den Hollywood zur Zeit beschert.

Herr Eder, dessen Ehe gescheitert ist, kommt in die Kirche und erzählt Jesus sein Leid. Ebensolches tut Frau Ahmad, die mit einem pakistanischen Mann verheiratet ist, aber die erzkatholisch-muslimische Verbindung ist mittlerweile zum Zerreißen gespannt - und wird von Frau Ahmad vor Jesus ausgebreitet. Frau Bartel wiederum, Chemielehrerin i.R., erzählt in der Kirche von ihrem Mord in Gedanken an ihrem, sie durch Seitensprünge demütigenden Mann. Schließlich betet der junge Thomas, der tagtäglich in der Kirche zu finden ist, um Errettung vor seinen erotischen Fantasien, während ein anderer Thomas und seine Freundin Angelika ihre (religiösen) Beziehungsprobleme vor Jesus ausbreiten.

Sechs Schicksale stellt Seidl da per Gebet vor. In bewährter, meisterhafter Seidl-Filmsprache werden kleine Menschen in riesigen Kirchenräumen vorgeführt, statische bis starre Bilder, große Langsamkeit und vertraut-bedrohliche katholische Symbolik: Der Gekreuzigte, das kitschig-heimelige Herz-Jesu-Bild, das Putzen eines Kreuzes in der Kirche, ein Teppich wird vor dem Altar ausgerollt; keine Musik, aber Geräusche, die jede fromme Idylle hintanhalten.

Die sechs Gebets-Porträts sind ebenso skurrile wie berührende Miniaturen, die karg, aber kunstvoll ineinander verwoben sind. Der Film oszilliert zwischen dem gnadenlosen Aufdecken infantiler Spiritualitäten und dem Staunen, wie kindlich manche Menschen bis ins Alter glauben können.

Beim Zuschauer bleibt aber ein Nachgeschmack: Wie weit ist er da Zeuge von Seelenstriptease, und wie weit wird er da gezwungen, innere Grenzen der Porträtierten zu überschreiten? Beten gehört jedenfalls zu den größten Intimitäten eines Menschen: Man sollte darüber diskutieren, ob ein Offenlegen dieser Intimsphäre legitim ist - und darüber, wie weit die bizarren Seiten dieser Gotteszwiesprachen, wie sie der Film zeigt, auch das alltägliche, "normale" Beten als skurrile Marotte desavouieren.

jesus, du weisst.

Ö 2003. Regie: Ulrich Seidl.

Verleih: Filmladen. 87 Min.

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