Eine ultrakatholische Beklemmung

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Dietrich Brüggemanns Film "Kreuzweg" thematisiert Deformationen durch katholische Religiosität, grandios und ohne Schaum vor dem Mund.

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Dietrich Brüggemanns Film "Kreuzweg" thematisiert Deformationen durch katholische Religiosität, grandios und ohne Schaum vor dem Mund.

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An den Deformationen der Religiosität katholischer Provenienz hat sich schon mancher Filmemacher sein Mütchen gekühlt. Zweifelsohne gibt es genug Beispiele, wie ein verquerer katholischer Glaube in die Psychose treibt oder gar der Menschenwürde entgegensteht, die ebendieser Glaube hochhalten sollte. Zuletzt thematisierte dies hierzulande Ulrich Seidl in "Paradies: Glaube", wo eine darstellerisch unerreichte Maria Hofstätter all ihre Sinne und Sinnlichkeit einer unerträglichen Jesus-Beziehung unterordnet.

Nun läuft mit Dietrich Brüggemanns ebenso grandiosem wie mitnehmendem "Kreuzweg" ein Film an, der in seiner Filmsprache durchaus an Ulrich Seidl denken lässt: formale Strenge der Sonderklasse, lange schnittlose Einstellungen mit tableauartigen Settings und Ähnliches. Und "Kreuzweg" thematisiert das Gleiche wie "Paradies: Glaube" - nämlich ein rigoroses Kirchenund Menschenbild, das gemeinhin als "fundamentalistisch" bezeichnet wird.

Eindrücklichster religiöser Film des Jahres

Aber auch die Unterschiede sind allzu bald deutlich: Seidl frönt einem artifiziellen Ambiente, er hebt seine Figur aus der Alltäglichkeit heraus - und ordnet sie seiner jeweiligen Welt- und Menschensicht unter. Dietrich Brüggemann, der auch das Drehbuch - gemeinsam mit seiner Schwester Anna - verfasst hat, hingegen ist es um reale Nachvollziehbarkeit zu tun. Und die gelingt ihm beklemmend authentisch. Schon allein deswegen ist "Kreuzweg" der bislang eindrücklichste Film mit religiöser Thematik, der 2014 ins Kino kam.

"Kreuzweg" erzählt die Geschichte der 14-jährigen Schülerin Maria, die in einer deutschen Kleinstadt aufwächst. Ihre Familie ist traditionalistisch-katholisch und gehört zu einer Gemeinde, die von der fiktiven Priesterbruderschaft St. Paulus geführt wird. Anklänge an die Lefebvrianer sind gewollt - und gut recherchiert, was bei filmischen Auseinandersetzungen mit katholischen Abgründen ja längst nicht immer der Fall ist.

Im Firmunterricht verdeutlicht Pater Weber, der Gemeindepriester, dass wahre Christen Soldaten sind, die die böse Welt, die übersexualisiert ist, und in der satanisch durchsetzte Musik den Ton angibt, durch ihr je eigenes Opfer bekämpfen sollen. Und Maria will ihr Leben aufopfern und heilig werden.

Denn vor allem Marias Mutter verlangt unbedingten Gehorsam auf diesem Weg. Maria versucht denn auch, der Mutter Ansinnen zu erfüllen und den Anfechtungen der Welt zu trotzen - etwa Singen im Chor, der neben Bach auch Gospels (teuflisch!) im Repertoire hat, zu dem sie ein sympathischer Bursch aus der Parallelklasse (da könnte sich ja eine Beziehung anbahnen!) einlädt.

Vergebliches Verlangen nach Mutterliebe

Doch auch wenn Maria Gott näher und näher zu kommen trachtet und alle Zumutungen der Mutter annimmt, kann sie deren immer intensivere Forderungen nach Seelen-Kasteiung nie endgültig erfüllen. Dem Streben nach Gottesnähe steht ein mindestens so nachdrückliches Verlangen nach Mutterliebe gegenüber, für das Maria keine Erfüllung findet.

Trotzdem ein Teil ihrer Umgebung, etwa das in der Familie mitlebende Au-pair-Mädchen Bernadette oder ihre Ärzte, die psychische und dann auch physische Gefahr, in die sich Maria hineinmanövriert, erkennt, kann diese dem Teufelskreis des (vermeintlichen) religiösen Anspruchs nicht entrinnen. Glaube kann die Menschenwürde verletzen. Nicht mehr und nicht weniger zeigt dieser Film auf. Zu Recht.

Zur Beklemmung trägt stark das formale Konzept des Films bei, das schon im Titel ausgebreitet wird. Denn in "Kreuzweg" nimmt Dietrich Brüggemann die 14 Stationen des traditionellen katholischen Kreuzwegs her und setzt deren Benennung als Überschrift über die 14 Filmkapitel. So gerät der Film auch zu einer Meditation - der Kreuzweg ist bekanntlich eine solche Betrachtung des Leidens Christi. Aber es handelt sich hier nicht um eine lebensaufrichtende geistliche Übung, sondern um deren Gegenteil.

Religions- und Frömmigkeitskritik

Leider ist diese Darstellung mehr als plausibel. Dazu kommt Frömmigkeitskritik: Denn die 14. und letzte traditionelle Kreuzwegstation ist die Grablegung Christi - und nicht die Auferstehung. Auch dies nimmt "Kreuzweg", der Film, implizit aufs Korn.

Dabei gehen Regie wie Drehbuch keineswegs mit Schaum vor dem Mund vor. Die Größe von "Kreuzweg" liegt darin, dass er den Abgrund einer Existenz schildert, von dem der Kinogeher weiß, dass es ihn gibt. Der Film weist implizit auf, dass der Weg, auf den religiöser Fundamentalismus führt, menschen-und lebensfeindlich ist.

Dafür haben "Kreuzweg" auf der diesjährigen Berlinale den Preis der Ökumenischen Jury und die Geschwister Brüggemann den Silbernen Bären fürs Beste Drehbuch erhalten. Zusätzlich ist zu betonen: Die Darstellung der 14-jährigen Lea van Acken als Maria sowie von Franziska Weisz (die mit Ulrich Seidls "Hundstagen" bekannt wurde ) als Mutter tragen zur Authentizität dieses "Kreuzwegs" genauso viel bei.

Ulrich Seidls und der Geschwister Brüggemanns Filmzugänge zur seelischen Missbildung durch Religion: Beides probiert. Und kein Vergleich.

Freikarten: s. Seite 24 "Die FURCHE empfiehlt"

Kreuzweg

D 2014.

Regie: Dietrich Brüggemann.

Mit Lea van Acken, Franziska Weisz. Thimfilm. 107 Min.

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