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CABOT LODGE/GENTLEMAN AUS BOSTON

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Gelegentlich konnte man spät nachts den sehr hochgewachsenen, gut aussehenden US-Chefdelegierten bei den Vereinten Nationen in der ruhigen Park Avenue treffen, während er seine schwarzen Pudel spazieren führte. Das sei, so sagte er dann Bekannten, außer seinen Enkeln das einzige Steckenpferd. Da nun der republikanische Konvent in Chikago Henry Cabot Lodge zum Vizepräsidenten nominierte, sind diese Spaziergänge zu Ende. Nixon hat sich für ihn entschieden, weil Lodge sich durch sein brillantes Auftreten gegen die Sowjets im Glaspalast von Manhattan Kenntnis im Umgang mit den Njet-sagern erworben hatte. Auch hatte er ja Chruschtschow auf dessen Tour durch die Staaten begleitet. In den acht Jahren seiner Tätigkeit sah man Lodge am Bildschirm: unerschrocken, schlagfertig, erfolgreich — der populäre Verfechter der Sache Amerikas.

Cabot Lodge entstammt jener abgehegten Geburtsschicht der „oberen Vierhundert“, jenem innersten Zirkel der US-Elite, ohne deren Meinungsäußerung in Washington keine Politik gemacht werden kann. Sie hat die generationenlange patrizische oder landedel-männische Vergangenheit für sich. Die Zugehörigkeit zu dieser Aristokratie gründet auf Geld und Beziehungen, die ihrerseits wiederum auf den ererbten klangvollen Namen, auf hoher Stellung und politischer Macht gründen. Henry Cabot Lodge stammt in direkter Linie von sechs Senatoren, einem Außenminister, einem Marineminister der USA sowie einem Gouverneur des Neuengland-Staates Massachusetts ab. Überdies ist Lodge ein „real Bostonian“, ein Einwohner Bostons, was soviel besagt, als hätte er, vergleichsweise, im alten Österreich der „Prager Gesellschaft“ atigehört.

Der gleichnamige Großvater des 1902 in Nahant Geborenen, ein berühmter Politiker und Historiker, führte nach dem ersten Weltkrieg die Bewegung gegen den Eintritt Amerikas in den Völkerbund zum Sieg. Schon als Student schloß sich Henry Cabot Lodge dem distinguierten Isolationisten an. Die Kehrtwendung erfolgte zwei Jahrzehnte sväter. Ausbildung und Werdegang waren die, üblichen der Söhne reicher Eltern: Studien an der exklusiven Harvard-Universität und einige Semester an der Sorbonne. Dann Reporter bei Tageszeitungen, dem Bostoner „Evening Transript“ und dem „New York Herald Tribüne“; gelegentlich auch Theaterkritiker und Auslandsberichterstatter. Aber das Erbe war stärker, der elegante Mann mit dem etwas blassen Upper-Class-Gesicht ging in die Politik, genau 31 Jahre alt.

Seiner Familientradition folgend, schloß er sich den Republikanern an, saß erst im Abgeordnetenhaus von Massachusetts und wurde, 1936, gegen die starke Konkurrenz des damals populären New-Deal-Kurses in den Senat gewählt. Im zweiten Weltkrieg unterbrach Lodge die politische Karriere: Er zog in der khakifarbenen Uniform der US-Army nach Nordafrika, wo General Auchinleck in schwerem Kampf mit Rommel stand. Nach El Alamein wurde der Major Lodge überraschend zurückberufen: er sei im Senat unentbehrlich. Von da an datiert seine Wandlung vom enthusiastischen Isolationisten zum Internationalisten. Es gelang Lodge dann doch noch, militärische Lorbeeren einzuheimsen. Als Oberstleutnant und Träger des Silver Stars kehrte er von der Elbe zurück. Wichtiger aber für die weitere Laufbahn war die Bekanntschaft mit Eisenhower, dessen tätigster Helfer er später in dessen Wahlkampf war, unbekümmert darum, daß er sich nicht genug seinem eigenen Kampf widmen konnte und in diesem deshalb geschlagen wurde. Kurz darnach ernannte ihn Eisenhower zum Chefdelegierten bei den Vereinten Nationen. Zum erstenmal wurde dem Träger dieses Amtes aber voller Kabinettsrang gegeben. Er hat den kabalenreichen Kampf mit Würde durchgestanden. Seine Reden, des Feuers und des Witzes entbehrend, sind sachlich und gründlich vorbereitet gewesen. Man weiß, daß Nixon Lodge eine stark erweiterte Vizepräsidentschaft anzubieten gedenkt und ihm - im Fall der Wahl - vor allem außenpolitische Aufgaben übertragen würde.

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