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Defreggers 17 Geiseln

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Wochen nach der „Spiegel“-Veröffentlichung zieht der Fall Defregger immer weitere Kreise. Kardinal Döpfner stellte sich am Sonntag in einer zweiten Äußerung erneut vor die Person seines Bischofvikars für die Seelsorgeregion Süd, Matthias Defregger, der 1944 während des Italienrückzugs an der Erschießung von 17 Geiseln in Füetto di Camarda verantwortlich beteiligt war. Defregger — damals Hauptmann einer Nachrichtenkompanie und im Zivilleben Philosophiestu-dent — hatte anläßlich eines Partisanenüberfalls, bei dem ein Soldat getötet worden war, von seinem Divisionskommandanten den Befehl erhalten, sämtliche männlichen Einwohner des kleinen Abruzzendorfes zu erschießen. Nach mehreren Einschränkungen dieses Befehls, die er dem Kommandierenden, Oberst Boelsen, abringen konnte — so sollten ausschließlich die Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren von der Maßnahme betroffen und die Mädchen und Frauen an dem Zuschauen bei der Exekution gehindert werden —, delegierte Defregger die Ausführung an einen Leutnant, der dann ein blutiges und schlecht kontrolliertes Massaker veranstaltete.

Verfahren eingestellt

Aufgerollt durch Ermittlungen gegen einen Beauftragten des Divisionskommandanten, bei denen Defregger als Zeuge auftreten mußte, wurde ab 1967 auch gegen Defregger von der Oberstaatsanwaltschaft in Frankfurt ermittelt. Im Mai 1969 stellte dann der mit der Untersuchung beauftragte Oberstaatsanwalt Doktor Kahn das Verfahren ein. Zur Begründung gibt er an, er habe weder bei dem Divisionskommandanten noch bei Defregger niedrige Beweggründe für den Befehl feststellen können, und deshalb scheide Mord aus. Für Totschlag oder aber für Beihilfe beim Totschlag sei die Rechtmäßigkeit von Geiselerschäeßungien international so umstritten, daß auch der Verdacht des Totschlags nicht ohne weiteres aufrecht erhalten werden könne — ein Moment, das aber für die strafrechtliche Betrachtung des Falles nach der Verjährung keine Bedeutung mehr habe.

Defregger selbst hatte bis zur jetzigen Pressekampagne, die in der beginnenden ,ySauregurkenizeit“ die

Spalten der süddeutschen Presse füllt und von „unverantwortlichem Mord“ bis zu „unsagbarer Gewissensnot“ reicht, außer gegenüber ganz wenigen über diese „schwere innere Belastung“ seines Lebens geschwiegen,

Vertrauter des Kardinals

Von einem Refugium in einem Al-penkloster schreibt jetzt der Weihbischof an seine Gläubigen: „Hätte ich nach dem erfolglosen Widerstand nicht bis zum Letzten gehen und ohne jede Rücksicht auf äußerste persönliche Konsequenzen die Weitergabe und damit die Ausführung des Erschießungsbefehls verweigern müssen? Ich versuchte au retten, was zu retten war. Das schreckliche Töten gänzlich zu verhindern, fehlte mir die Möglichkeit. So wurde mir eine Prüfung auferlegt, von der ich selbst nicht sagen kann, wie ich sie bestanden habe.“

Doch der Weihbischof tritt während der Kampagne zusehends ins zweite Glied. Immer offener wird die Verantwortung für die ganze Affäre Kardinal Döpfner zugeschoben, der sich bei voller Kenntnis der Sachlage dazu entschlossen hatte, Defregger erst zu seinem Generalvikar und dann zu seinem Weihbischof zu ernennen. Der „Spiegel“, der noch vor kurzer Zeit den Regensburger Bischof Graber mit angeblich nazistisch tönenden Redefragmenten seiner Vergangenheit konfrontierte und damit den Vertreter der konservativen Richtung süddeutscher Kirchenprominenz unter Beschuß nahm, beschäftigt sich nun offensichtlich mit deren progressiver Variante. Der langjährige Generalvikar und Weihbischof Defregger gilt als einer der engsten Vertrauten des Münchner Kardinals, und es war wohl kein reiner Zufall, daß die ersten Pressemeldungen gerade zu der Zeit erfolgten, als Döpfner in Chur einem vielschichtig kritischen Bischofs- und Diözesanpublikum gegenüberstand. Der demonstrative Rücktritt des Diözesanpräses der Kolpingfamilie, Nieberle, eines führenden Mitglieds der Priesterausschüsse, der angeblich die Abberufung Defreggers forderte und diese Äußerung dann wieder dementierte, von all seinen Ämtern scheint nur ein Symptom für die jetzt zusätzlich geschürte inner-kirchliche Unruhe. Gewisse Kreise

in Rom sollen ebenfalls an einem Rücktritt Defreggers und damit an einem Druck auf Döpfner interessiert sein. Die' Bayrische Staatspartei hat die Berufung Defreggers einen „unverzeihlichen Fehler“ des Kardinals genannt. Der Fall werde „zum eigentlichen Skandal Döpfner“, und dem Kardinal werden in der Erklärung „unübersehbare Arroganz“ und „funktionsfremdes Managertum“ vorgeworfen.

Moralische Gesichtspunkte

Vorerst sind die katholischen Massenorganisationen Bayerns allerdings noch auf der Seite des Kardinals und seines Weihbischofs, den sie durch Resolutionen unterstützen. Döpfner erklärte in einer zweiten Stellungnahme, er habe Defregger als einen Priester kennengelernt, der gerade mit dieser Belastung ein Mensch der Hingabe und des selbstlosen Dienstes gegenüber den Menschen geworden sei. Dies habe ihn bewogen, diesen Mann schließlich zum Weihbischof vorzuschlagen. Er habe ihn auch gebeten, seine eigenen Bedenken zu überwinden.

Der Weg zueinander

„Viele Menschen neigen nun dazu“, so schrieb Döpfner weiter, „mir daraus einen Vorwurf zu machen“. Er habe jedoch die Handlung des damaligen Offiziers Defregger nach moralischen Gesichtspunkten geprüft. Die ethische Frage, die den Christen vor allem interessieren müsse, gehöre in den Bereich jener Verstrickungen, in die eine ganze Generation von Soldaten durch den unseligen Krieg geraten sei. Ein Befehl, unschuldige Menschen als Geiseln zu erschießen, könne niemals gerechtfertigt werden. Gegen die Ausführung solcher Befehle müsse sich der Christ wehren, soweit es in seinen Kräften stehe: „Die Umstände eines solchen Beteiligtseins im letzten zu beurteilen“ — so folgerte der Kardinal —, „entzieht sich der menschlichen Möglichkeit. Niemand kann seine eigene Kraft und noch weniger die des anderen vollständig erkennen. Als Christ muß man wissen, daß die Gemeinschaft der Kirche nur aus der gegenseitigen Vergebung leben kann, weil wir durch Selbstgerechtigkeit den Weg zueinander, zur Welt und schließlich zu Gott versperren.“

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