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KARDINAL JULIUS DÖPFNER / LOTSE AN BORD

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Betroffen horchte nicht nur Berlin auf, als es Tatsache wurde, was bis zu ihrer Verkündigung unglaublich schien: Kardinal Julius Döpfner, von Papst Pius XII, zum Bischof Berlins berufen, ist durch Johannes XXIII. zum Oberhirten Münchens, zum Erzbischof der Diözese München-Freising bestellt worden. Wir kennen nicht die Gründe, die den Heiligen Vater bewogen haben zu diesem schweren Entschluß, dessen Tragweite zur Stunde vielleicht noch nicht ganz zu ermessen ist.

Deutschland und nicht nur die katholische Welt kennen jedoch um so besser diesen jetzt achtundvierzigjährigen Mann, der seinerzeit, mit kaum fünfunddreißig Jahren, der jüngste Bischof Europas war. Julius Döpfner wurde am 26. Awgust 1913 in Hausen vor der Rhön als viertes Kind kleiner Rhön-Bauern geboren. Nach dem Studium an der Universität Würz burg und in Rom promovierte er mit einer Arbeit über Kardinal Newman, den großen geistigen Schirmherren der deutschen katholischen Jugendbewegung, zum Doktor der Theologie. In schwerer Zeit, am 29. Oktober 1939 zum Priester geweiht, wirkte er als Kaplan, dann als Präfekt am Würzburger Knabenseminar, in mehreren Aushilfsstellen, ab 1946 als Subregens im Priesterseminar Marannhill, und wurde 1948 Bischof von Würzburg. Der temperamentvolle bayrische Franke, der manche Züge mit seinem engeren Landsmann Kardinal Faulhaber gemeinsam Hat, erregte hier nicht wenig Aufsehen, nicht nur durch seine Reden, sondern durch die ganze energische Art, mit der er der Not in seiner Diözese ins Gesicht sah. Er besuchte die Fabriken und Bergwerke in seiner Diözese, sprach in Werkshallen zu den Arbeitern, fand dabei schnell den richtigen Ton und rief angesichts der großen Wohnungsnot das St.-Bruno-Werk ins Leben, das bis heute Tausende von Wohnungen gebaut hat. Seine Devise für dieses Unternehmen trug nicht wenig bei, den Namen dieses jungen Bischofs in Deutschland bekannt zu machen: „Wohnungsbau ist Dombau unserer Zeit”. Als Bischof von Würzburg sorgte er sich besonders um den in der DDR liegenden Teil seiner Diözese, in der thüringischen Diaspora. Von Mann zu Mann, von Mensch zu Mensch ging er da und fand bei seinen Besuchen in der „Zone” auch guten Kontakt zur evangelischen Kirche.

Als Julius Döpfner am 15. Jänner 1957 zum Bischof von Berlin berufen wurde, hörte man den noch nicht wenige kritische Stimmen: Wird dieser Bayer die schwierigen Berliner Verhältnisse meistern können? Ist er nicht doch zu jung, zu unerfahren, zu gerade heraus für die labilen Berliner Situationen, die ein hohes Maß von Takt und Fingerspitzengefühl erfordern? Nun, der im ersten Konsistorium des neuen Papstes Johannes XXIII. am 15. November 1958 zum Kardinal erhobene junge Bischof von Berlin arbeitete sich erstaunlich schnell in sein neues Amt ein, Julius Döpfner wurde in diesen drei Jahren zum „Berliner Kardinal”, der gerade auch bei Protestanten und nicht wenigen Nichtchristen sich ein bedeutendes Ansehen erwarb durch seine Sachkenntnis, seinen Mut, seinen Charakter. In Berlin lernte Julius Döpfner aus nächster Nähe die Härte des Kirchenkampfes kennen. Wohl konnte er noch bei Otto Grotewohl seinen Antrittsbesuch machen, seit Mai 1958 erhielt er aber keine Einreiseerlaubnis mehr für die Ostzone, die „DDR”. Die tristen Verhältnisse daselbst ließen ihn jedoch ein Größeres nicht übersehen: die Notwendigkeit einer Versöhnung des deutschen Volkes mit den Ostvölkern. Kardinal Julius Döpfner hat, einzig dastehend bis jetzt, den aufsehenerregendsten Schritt gewagt, den ein deutscher katholischer Kirchenfürst seit 1945 unternahm: im Oktober 1960 wandte er sich am Fest der Patronin Berlins, der heiligen Hedwig von Schlesien, direkt an das polnische Volk, und warb um Verständnis, um Begegnung. Diese Rede wurde in Ost und West viel kritisiert und zeigte bereits dadurch an, wie sehr er in den Kern des brennenden Problems traf. Nie zuvor war von einer führenden Per- sönlichkeit Westdeutschlands so offen, leidenschaftlich und behutsam zugleich dieses heiße Eisen angefaßt worden. Viel beachtet wurden in der Folgezeit seine Rede über „Die Erwartung der Völker” auf dem 37. Eucharistischen Weltkongreß in München und dann die Rede beim Begräbnis des Kardinals Wendel, dessen Nachfolger Döpfner nun geworden ist.

Als Erzbischof von München- Freising ist Kardinal Döpfner Metropolit dieser Kirchenprovinz und als Vorsitzender der Freisinger Konferenz des bayrischen Episkopats eine auch hierarchisch führende Persönlichkeit des deutschen Katholizismus. Mutmaßungen über die politischen und kirchenpolitischen Hintergründe seiner aufsehenerregenden Berufung nach München lassen sich heute noch nicht verifizieren. Dies eine läßt sich vielleicht andeuten: in der Bundesrepublik Deutschland stehen innnenpolitisch die Zeichen zwar nicht auf Sturm, doch ist es allen Sehenden klar, daß die große Wende, von der Dr. Adenauer mehrfach in letzter Zeit sprach — der Beginn einer neuen Zeit —, auch große Krisen mit sich bringen mag. Da erscheint es wichtig, daß der deutsche Katholizismus an führender Stelle einen jungen, starken Mann, einen Steuermann, in nächster Nähe zur Verfügung hat. Vielleicht ist Julius Döpfner als Lotse an Bord gerufen worden, um den Kurs des Schiffes der Kirche in Deutschland energisch und umsichtig zugleich zu bestimmen ...

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