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Eine Hauptstadt stirbt

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Die Entscheidung der kanadischen Regierung, nach dem 30. Juni nicht länger Uran aufzukaufen, mag das Schicksal der Bergwerkstadt Elliot Lake besiegeln. Hier — 484 Meilen von den Niagara-Fällen entfernt — wurde der Ort im Jahre 1955 aus der Wildnis gehauen; der riesigen Uranvorkommen wegen. Stolz nannte sich Elliot Lake damals „Uranhauptstadt der Welt“.

Zur Zeit des großen Uranrausches hatte die. Stadt im nördlichen Ontario mehr als 25.000 Einwohner. 16 Bergwerke standen hier im Betrieb. 400 Millionen Dollar wurden in die einstige Wildnis investiert und Riesenvermögen verdient. Das dauerte bis zum November 1959. Dann kam die Kunde, daß die Vereinigten Staaten keine weiteren Bestellungen für Kanadas Uran geben würden. Man sagte in Elliot Lake: „Strategisohe Notwendigkeit war der Vater der kanadischen Uranindustrie. Politik war ihre Mutter. Und der Vater verließ das Kind sehr frühzeitig...“

Kanadas Uranreichtum ist groß. In Ontario allein, so behaupten Geologen, befinden sich zwei Drittel der Uranvorkommen der freien Welt. Ein Bergwerk in Elliot Lake — Denison Mines — weist darauf hin, daß seine Vorkommen etwa 136 Millionen Tonnen Erz betragen und daß eine Tonne 2,78 Pfund von U 308 enthalte.

Aus Kanada, von Port Radium, kam das Uran für die Atombomben, die Hiroshima zerstörten. Mit fieberhafter Hast suchte man damals neue Uranvorkommen, bis dem Geologen Franc Joubin im Algoma-Becken der große Fund glückte. Derart wurde hier aus einer Wildnis eine schmucke Bergwerkstadt.

In jenen Jahren wurde Kanada der führende Uranproduzent der Erde und behauptete diese Position bis 1959, als die Vereinigten Staaten vorstießen und der Kongo und Südafrika sich zudem als Lieferanten mit preisgünstigeren Angeboten erwiesen.

Von Kanada nach Hiroshima . . .

Noch im Jahre 1959 hatte Elliot Lake eine Bevölkerung von 18.000. Damals wurde Uran als „Basis der neuen industriellen Revolution“ bezeichnet, und in einer Atomkonferenz in Toronto wurde erklärt: „Es kann weder wie eine Traube zerquetscht, noch wie eine Banane geschält werden. Doch die Kraft, die in diesen unsichtbaren Teilchen eingeschlossen ist, mag die Welt zerstören oder seine Bewohher zu einem neuen Plateau der Zivilisation führen.“

Heute ist die Bevölkerung von Elliot Lake auf 9000 gesunken. Da jeden Tag Familien die Stadt verlassen, sind hier schmucke Häuser und Geschäfte billiger zu kaufen als anderswo in Kanada.

Wohl war die phantastische Prosperität von Elliot Lake, die auch

tausende europäische Einwanderer anlockte, nicht von langer Dauer, doch sie brachte nicht wenigen bedeutenden Reichtum. Beispielsweise erzielte ein Konzern, der hier 25 Millionen Dollar investierte, einen Gewinn von 160 Millionen Dollar. Weniger vom Glück begünstigt waren die „kleinen Leute“. Sie hatten in Elliot Lake in den Bergwerken oder im Geschäftsleben auf guten und steten Verdienst gehofft. Auch jene, die durch den Kauf von Uranaktien wohlhabend zu werden hofften, sahen sich oft getäuscht — wenn sie die „sharen“ nicht im richtigen Augenblick verkauften.

Da waren's nur mehr vier

„Bringt eure Probleme zu dem Abgeordneten von Algoma East“,

erklärte Friedensnobelpreisträger Lester P. Pearson vor den letzten Wahlen. „Wenn er euch nicht helfen kann, verspreche ich, daß er direkt mit dem Prime Minister darüber sprechen wird...“ Der Abgeordnete von Algoma East (in dessen Wahlkreis sich Elliot Lake befindet) und der Prime Minister sind seit den letzten Wahlen eine und dieselbe Person: Lester B. Pearson.

Ein Jahr lang kaufte der Staat auch das hier produzierte Uran auf und investierte mehr als 25 Millionen Dollar — in der Hoffnung, mittlerweile neue Absatzgebiete zu finden. Als sich aber zeigte, daß damit vor Ablauf einer Dekade nicht gerechnet werden konnte, mußte die Regierung die Entscheidung treffen, „stock piling“, den Ankauf des Uran zu stoppen.

Noch sind vier Uranbergwerke in Elliot Lake im Betrieb, doch Denison und Müliken werden nach dem 30. Juni sperren, während Stanrock Ende November mit der Schließung rechnen muß. Bloß die Nordic Mine, die 600 Mann beschäftigt, wird den Betrieb bis 1971 offenhalten können, da britische Aufträge vorliegen. Diese Schließung der drei Mines wird 1900 der verbliebenen 2500 Bergleute den Arbeitsplatz kosten. Und da die 9000 Einwohner der Stadt von den Uranbergwerken leben, mag die Schließung von Denison, Milliken und Stanrock das Ende von Elliot Lake bedeuten.

In den fünfziger Jahren fanden 10.000 Bergleute in Elliot Lake guten Verdienst. Von den hohen Löhnen angelockt, strömten Männer aus allen Teilen Kanadas (viele europäische Einwanderer unter ihnen) herbei. Bald aber wird die Stadt nur mehr 600 Bergleuten Verdienst bieten können. Heute schon sagt man: Im nördlichen Ontario stirbt eine Hauptstadt — Elliot Lake; einst „The Uranium Capital of the

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