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Nicht vergessen: die Gewissensfrage

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Es gibt zahlreiche Christen und NichtChristen, die im obligatorischen Militär- und Kriegs-dienstzwang einen unbefugten Einbruch des rechtsanmaßenden Staates in die Rechtssphäre des Menschen erblicken und die den staatlichen Rechtsschutz der Militär- und Kriegsdienstverweigerer aus Glaubens- und Gewissensgründen fordern. Sie verweisen darauf, daß es verschiedene Formen der gerechten Verteidigung des Einzelmenschen, der Familie und der Volksgemeinschaft gibt, lehnen aber den Krieg als eine brutale und unmenschliche Form der Abwehr eines Unrechtes ab. Sie verlangen den rechtlichen Schutz der Militärdienstverweigerer aus Gewissensgründen, weil es in ihren Augen ein Unrecht ist, daß der Träger der Staatsgewalt jene Menschen, die einen Weg der Vollkommenheit und der Gewaltlosigkeit gehen wollen, als Verbrecher behandelt und in den Kerker wirft.

Zahlreiche Staaten tragen diesen Gewissensbedenken Rechnung und gewähren den Militär- bzw. Kriegsdienstverweigerern aus Glaubens-und Gewissensgründen einen rechtlichen Schutz. Die USA anerkennt religiöse, Holland beachtet religiöse, und ethische, und England, Dänemark, Norwegen, Schweden, Australien, Kanada, Neuseeland und Uruguay anerkennen neben religiösen und ethischen auch humanitäre und weltanschauliche Gewissensgründe. Während des zweiten Weltkrieges gab es in England mehr als 61.000, in den USA mehr als 30.000 und in Kanada mehr als 10.000 Kriegsdienstverweigerer. England, das mit den Dienstverweigerern am großzügigsten und nachsichtigsten verfährt, gewährt drei Arten der Befreiung vom Militärdienst. Der Waffendienstverweigerer aus Gewissensgründen kann gänzlich und bedingungslos vom Militärdienst befreit werden, er kann befreit werden unter der Bedingung, einen nicht kriegsdienlichen, zivilen Alternativdienst zu leisten, und er kann schließlich militärischen Einheiten zugeteilt, aber vom Waffentragen befreit werden. Auch Paraguay, Puerto Rico, die Jungferninseln, Hawaii, Guam, Singapur, Südafrika und Südrhodesien gewähren ein Dienstverweigerungsrecht. ,

In Westdeutschland bestimmt der Artikel 4, Absatz 3, des Bonner Grundgesetzes: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der V/affe gezwungen werden. Das rechtliche Verhalten dieser Staaten den Kriegsdienstverweigerern gegenüber steht im Einklang mit der Menschenrechtsdeklaration vom Jahre 194S, deren Artikel 18 das Recht der Gewissensfreiheit betont.. Es entspricht auch der kirchlichen Lehre vom Primat der Gewissensfreiheit.

Würde in Oesterreich der gewissenverletzende Militär- und Kriegsdienstzwang eingeführt, so stünde dies nicht nur im Widerspruch zum 18. Artikel der Menschenrechtsdeklaration und zur kirchlichen Lehre vom Primat der Gewissensfreiheit, sondern wäre überdies eine Mißachtung des Punktes 5 der Katholikentagserklärung vom Jahre 1952, des Staatsgrundgesetzes vom Jahre 1867 und des Staatsvertrages vom Jahre 195 5. Punkt “5 der Katholikentagserklärung unseres letzten Katholikentages betont: „Der Staat ist nicht Herr über das Gewissen.“ Der Artikel 14 des noch geltenden österreichischen Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 sichert allen Staatsbürgern die volle Gewissensfreiheit zu, indem er feststellt: „Die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist jedermann gewährleistet.“ Der Artikel 6 des erst vor wenigen Wochen in Wien unterzeichneten österreichischen Staatsvertrages sichert „allen unter österreichischer Staatshoheit lebenden Personen, ohne Unterschied des Geschlechtes, der Rasse und der Religion, den Genuß der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (wozu auch das Recht der Gewissensfreiheit gehört) zu“. Rechtliche und religiöse Erwägungen sprechen also für den Schutz der Militär- und Kriegsdienstverweigerer aus Glaubens- und Ge-wissensgründen in unserem Staate.

Der bedeutende französische Friedenstheoretiker und Jesuit, Lorson, trat in seinem vor wenigen Jahren erschienenen Buche „Wehrpflicht und christliches Gewissen“ für den staatlichen Rechtsschutz der Militär- und Kriegsdienstverweigerer aus Glaubens- und Gewissensgründen ein und wandte sich dagegen, daß diese Menschen strafrechtlich verfolgt werden. Er stützt sich dabei auf die Bergpredigt Christi und vor allem auf die kirchliche Lehre vom Primat der Gewissensfreiheit.

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