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Wilhelm III.

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„Die Dauer der Amtszeit des Präsidenten der Deutschen Demokratischen Republik, Wilhelm Pieck, wird verlängert.“ So lautete der Initiativantrag aller Fraktionen der Volkskammer und der Länderkammer der SBZ, über den die Abgeordneten am 7. Oktober, dem achten Jahrestag der Gründung der „DDR", zu befinden hatten. Das Abstimmungsergebnis war klar — einstimmig wurde Pieck auf weitere vier Jahre zum Staatspräsidenten Mitteldeutschlands gewählt.

„Wilhelm III.“, wie ihn die Bevölkerung Mitteldeutschlands mit bitterer Ironie nennt, oder der „erste Arbeiter- und Bauernpräsident“, wie ihn die offizielle Propaganda apostrophiert, wurde am 3. Jänner 1876 in Guben/Neiße als

Sohn eines Lohnfuhrmannes geboren. Uebrigens in jenem Stadtteil, der heute Gubin heißt und den Pieck als Bestandteil Polens in seiner Eigenschaft als Präsident der „DDR“ anerkannte. Nach Besuch der sechsklassigen Volksschule kam der junge Pieck in die Tischlerlehre und ist damit auch beruflich mit seinem großen Vorbild, Walter Ulbricht, eng verbunden.

1894 trat Wilhelm Pieck dem „Deutschen Holzarbeiterverband“ bei und ein Jahr später der SPD, der er bis 1918 angehörte. Wilhelm Pieck stand von Anfang an auf dem linken Flügel der SPD. Sein Linksdrall wurde noch verstärkt, als ihn seine Partei-Ortsgruppe auf einen sechsmonatigen Lehrgang an die von Rosa Luxemburg geleitete Zentrale Parteischule nach Berlin schickte. Pieck war seinerzeit ein gewissenhafter

Schüler, der sorgfältig die marxistischen Lehrsätze auswendig lernte. Nur das Begreifen fiel ihm schwer. Rosa Luxemburg soll einmal geäußert haben, Pieck sei ihr „treuester, aber dümmster Schüler“.

In punkto Treue hatte sich Rosa Luxemburg jedoch getäuscht, wie sie später am eigenen Leibe erfahren sollte. Auf jeden Fall hatte Pieck in Berlin Anschluß an die „Gruppe Internationale“ mit Luxemburg-Liebknecht an der Spitze, ..gefunden. Seine erste revolutionäre Tat vollbrachte Pieck 1915, als er an der Spitze einer Frauendemonstration vor dem Berliner Reichstag aufmarschierte und prompt verhaftet wurde. Seine Strafe bestand darin, daß ihn das kaiserliche Heer als Feldtelephonist an die Front schickte. Nach einer Verwundung weigerte er sich, wieder an die Front zu gehen. Daraufhin wurde er unter bewaffnetem Geleit zu seiner Truppe gebracht, konnte jedoch kurz vor dem Ziel in das neutrale Holland fliehen. Von Ende 1917 bis Ende 1918 lebte Pieck in der niederländischen Emigration.

Wie vieles in dem abwechslungsreichen Leben des heutigen Staatspräsidenten, ist sein Aufenthalt in Holland heute in Dunkel gehüllt. Fest steht lediglich, daß er sich neben seiner Tätigkeit als Tischler sehr stark dem damals in Holland erscheinenden Emigrantenblatt „Der Kampf" widmete, wobei er einmal deutlich von der „Linie" abwich.

Als Wilhelm Pieck Ende Oktober 1918 wieder in Berlin eintraf, wurde er von Liebknecht und Luxemburg zum Führer des Berliner Spartakusbundes ernannt. Als sich die deutsche Kommunistische Partei am 30. Dezember 1918 konstituierte, wählten ihn die Delegierten als Generalsekretär des Berliner KP-Verbandes in das ZK der Partei. In diesem höchsten Gremium der Partei konnte sich Pieck trotz aller Schwenkungen der Parteilinie und trotz scharfer Angriffe ununterbrochen behaupten.

Die zweite Klippe in Piecks politischem Leben ergab sich 1919 bei der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Pieck schreibt in seinen „Reden und Aufsätzen “ zu jenem Vorfall selbst:

„Als der Verfasser (Pieck) am Abend des 15. Jänner 1919 gegen 21 Uhr die beiden Genossen in ihrer Wohnung aufsuchen wollte, um ihnen fremde Ausweispapiere für den Fall einer Hauskontrolle zu überbringen, war die Wohnung schon militärisch besetzt und Karl Liebknecht schon abtransportiert. Rosa Luxemburg befand sich noch in der Wohnung und wurde von mehreren Soldaten bewacht. Auch ich wurde beim Betreten der Woh- riurtįj,lvijfil' den Soldat festgendmmen und körperlich durchsucht. Nach kürzer Zeit kam eine Anzahl Soldaten... Sie zwangen Rosa Luxemburg, die wegen heftiger Kopfschmerzen im Bett lag, aufzustehen und sich anzukleiden, und nach kurzer Zeit wurden sie und ich auf die Straße geführt und genötigt, ein Auto zu besteigen, das nach kurzer Fahrt vor dem Eden-Hotel, einem der größten Berliner Hotels in der jetzigen Budapester Straße, hielt. ... Sie wurde sofort in die erste Etage des Hotels geführt, wo ein Hauptmann Pabst als sogenannter Gerichtsherr sie einer Vernehmung unterzog. Ich wurde unten im Vestibül festgehalten und hörte, daß Karl Liebknecht sich ebenfalls im Hause befand ... Nach kurzer Zeit wurde ich ebenfalls in die erste Etage gebracht und genötigt, mich in einem Winkel des Korridors mit dem Gesicht nach der Wand aufzustellen, wobei ich von zwei bewaffneten Soldaten bewacht wurde.“

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden noch am gleichen Tage erschossen. Wie und warum Pieck auf freien Fuß kam, wird verschwiegen. In den offiziellen „Präsidenten- Biographien" kann man darüber lesen: „Wilhelm Pieck gelang es durch eine geschickte Täuschung der Mörder, dem gleichen Schicksal zu entgehen.“

Aber hier setzen die Zweifel ein, denn der heutige Staatspräsident Mitteldeutschlands wurde nach eingehender Vernehmung durch Hauptmann Pabst mit einem „Schutzbrief" versehen und entlassen. Hauptmann Pabst soll geäußert haben, daß die Aussagen Piecks „sehr wertvoll“ gewesen seien. Wilhelm Pieck verhinderte es bis heute meisterhaft, daß Licht in jene dunkle Affäre drang. Als Anfang 1930 der damalige Leiter des kommunistischen Unter grundapparates, Hans Kippenberger, den Fall Pieck-Luxemburg-Liebknecht untersucht?, verschwanden die Akten spurlos — und auch Kippenberger verschwand später in Moskau spurlos!

Schon bevor Kippenberger seine Unter suchungen durchführte, sollte der Fall Luxemburg aufgerollt werden. Pieck drohte 1926 eine Anklage vor dem Parteigericht. Doch Thälmann bog seinerzeit die Angelegenheit ab und schlug das Verfahren nieder. Pieck hat es ihm später in üblicher Manier gedankt — er half eifrig mit, daß Thälmann im KZ umkommen mußte.

In den Jahren 1930 bis 1933 kletterte Wilhelm Pieck auf der Stufenleiter der Parteihierarchie Sprosse um Sprosse höher. Aus jener

Der erste und zweite Band der gesammelten Aufsätze von Wilhelm Pieck ist im sowjetzonalen Buchhandel nicht mehr erhältlich!

Zeit datiert auch die engere Bekanntschaft zwischen Ulbricht und Pieck. Anfang der dreißiger Jahre lernte der heutige Staatspräsident der DDR auch den „Helden des Reichstagsbrandprozesses“, Georgi Dimitroff, kennen.

Nach dem Reichstagsbrand setzte sich Pieck, nachdem er die kleinen Genossen mit dem Schlachtruf der Rotfront: „Schlagt die

Faschisten, wo ihr sie trefft", noch aufgeputscht hatte, nach Paris ab. Pieck wurde dort Mitglied des „Auslandskomitees der KPD“, in das sich Walter Ulbricht in beharrlicher Kleinarbeit hineinschob. Damit begann der politische Aufstieg des heutigen Präsidenten.

In der Zeit der Pariser Emigration fand die erste große Säuberung der deutschen KP statt. Obwohl Walter Ulbricht der Initiator dieser Liquidationsorgie war, beteiligte sich Pieck als getreuer Adlatus des Tischlers aus Leipzig, dessen Befehle er gewissenhaft ausführte.

Es war am Sonntag, den 21. April 1946, vormittags, kurz nach 10 Uhr, in der Ost-Berliner Staatsoper, als der Vorsitzende der KPD, Wilhelm Pieck, und der Vorsitzende der sowjetzonalen SPD, Otto Grotewohl, sich auf der Bühne trafen und die Hände ineinander legten, zum Zeichen, daß sich die beiden Arbeiterparteien zur SED zusammengfefunden hatten. Otto Grotewohl las sodann 5 5 Namen von toten kommunistischen Kämpfern vor. An fünfzigster Stelle stand: Ernst Thälmann. Wie mußte es da dem Wilhelm Pieck zumute gewesen sein! Ihm, der neben Walter Ulbricht die meiste Schuld daran trägt, daß der populärste Kommunist Deutschlands am 18. August des Jahres 1944 in einem KZ ermordet wurde? Nicht einmal zwei Jahre waren es her, daß Ernst Thälmann, von Pieck verraten, den Tod gefunden hatte, und eben dipser Wilhelm Pieck verzog keine Miene, als der Name genannt wurde ...

Teddy, wie Ernst Thälmann von der Arbeiterschaft Berlins genannt wurde, fiel bereits wenige Tage nach dem Reichstagsbrand in die Hände der Gestapo. Walter Ulbricht scheint auch in diesem Falle seine Finger im Spiel gehabt zu haben. Das läßt sich jedoch nicht belegen. Daß er, zusammen mit Pieck, aber alles unternahm, um Thälmann in der Gewalt der Gestapo zu belassen, steht eindeutig fest. Abgesehen davon, daß es Ulbrięht von Paris aus und später Pieck von Moskau aus hintertrieben, daß Thälmann einen Rechtsanwalt bekam, wurde Thälmanns Flucht aus dem Gefängnis in letzter Minute von Ulbricht verboten! Später wäre ein Austausch zwiscfe ft, y älmanfl nd.! inhaftierten- Deutschen, :

Anraten von Pieck schlug Stalin das Angebot aus. Nachfolger Thälmanns wurde dann 1945 Wilhelm Pieck.

Den großen Streich gegen seine innerparteilichen Konkurrenten führte Walter Ulbricht 193 5 in Moskau. Ein gütiges Schicksal ließ Clara Zetkin und Fritz Heckert noch eines natürlichen Todes sterben. Diesen Vorzug durften Hans Kippenberger, Hermann Remmele, Heinz Neumann, Hugo Eberlein und Leo Flieg nicht genießen. Teils wurden sie in Moskau „beseitigt“, teils der Hitler-Gestapo in die Hände gespielt.

Die Situation der KPD in der Zeit nach 1933 war katastrophal. Alle deutschen Kommunisten, die nach dem Westen emigriert waren, wußten, daß die KP als Organisation in Deutschland restlos zusammengebrochen war. Um jedoch eine Kritik Moskaus zu vermeiden und vor allem, um die finanzielle Unterstützung der Komintern nicht zu verlieren, wurden die Berichte des „Auslandskomitees der KPD" frisch-fröhlich auf Optimismus poliert.

Dieses war der erste Streich. Der nächste Schritt des Duos auf dem Wege zur Macht bestand darin, die illegalen Kommunisten in Deutschland, deren Konkurrenz sie fürchteten, an die Gestapo zu verraten. Das Vorgehen Ulbrichts und Piecks war in diesem Falle noch schlimmer. Beide legten nämlich eine Liste derjenigen illegalen KP-Funktionäre in Deutschland an, die angeblich vor trotzkistischen Agenten gewarnt werden sollten. Diese Liste zirkulierte in etlichen Exemplaren in Paris und landete schließlich — das konnte sich der dümmste KP- Genosse an den fünf Fingern abzählen — bei der Gestapo. Daß kaum ein Kommunist, der auf jener Liste stand, das Dritte Reich überlebte, versteht sich von selbst.

Pieck diente sich weiter nach oben. Auf der sogenannten „Brüsseler Konferenz der KPD“, die 1935 stattfand (alle Anzeichen deuten darauf hin, daß diese Konferenz nicht in Brüssel, sondern in Moskau abgehalten wurde!), wählten ihn die Delegierten zum Generalsekretär der Partei, und im gleichen Jahre berief ihn der siebente Weltkongreß der Komintern als Sekretär in das Exekutivkomitee. Wilhelm Pieck war in jener Zeit übrigens der Chef von Josip Broz, der unter dem Decknamen „Walter" als Berichterstatter für Jugoslawien bei der Komintern arbeitete. In der Zwischenzeit legte Pieck seine deutsche Staatsangehörigkeit ab und wurde Sowjetbürger. Das ist er heute noch. Als am 12. Juli 1943

ehemalige deutsche Wehrmachtsoffiziere das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ in Moskau gründeten, war Wilhelm Pieck in der Uniform eines sowjetischen Obersten der maßgebende Beauftragte der KPD.

Endlich, Mitte Juni 1945, sah Wilhelm Pieck Deutschland wieder. Walter Ulbricht war schon am 30. April in Berlin angekommen, um die Gründung der Kommunistischen Partei vorzubereiten. Unter dem Gründungsaufruf der KPD stand Piecks Name an erster Stelle. Im Dezem ber 1947 kam Pieck in den „Geschäftsführenden Ausschuß des Volkskongresses“, Anfang 1948 wurde er „Präsident des Deutschen Volksrates“ und schließlich am 7. Oktober 1949 „Präsident der Deutschen Demokratischen Republik".

Heute, im 81. Jahre seines Lebens, residiert Wilhelm Pieck im ehemaligen Hohenzollern- schloß Schönhausen als „erster Arbeiter- und Bauernpräsident“. Seine Amtszeit wurde am 7. Oktober 1957 bis 1961 verlängert. Auf Lebenszeit?

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