Zerrbild der Gesellschaft

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Mit formidabler Lust spielt das Ensemble des Wiener Volkstheaters Nikolaj Gogols Lustspiel "Der Revisor“ in der grellen Inszenierung von Thomas Schulte-Michels.

Es wäre ein Leichtes, Nikolaj Gogols 1836 uraufgeführtes Lustspiel für das Stück zur Stunde zu halten. Aber so einfach ist das genau gesehen doch nicht. Denn angesichts der an Korruptionsskandalen nicht eben armen Zeit - so hat man den Eindruck - währt diese Stunde schon immer. Das meint offenbar auch Thomas Schulte-Michels, und so ist es nur zu verständlich, dass er in seiner Inszenierung am Wiener Volkstheater darauf verzichtet, Gogols Lustspielklassiker mit aktuellen Zeitbezügen anzureichern. Stattdessen entwickelt er mit hohem szenischem Tempo und reichlich Slapstick ein hoch artifizielles Gauklerspektakel mit schrägem Personal, das ganz ohne psychologische Tiefe auskommt, und der solcherart entworfene Zerrspiegel der Gesellschaft ist unserer Zeit doch um nichts weniger nah.

Schmierige Zombies

Die Einwohner des spießigen Provinznests, in das Schulte-Michels seinen "Revisor“ verlegt, bedürfen dringend der Reinigung. Als sich die Kunde ausbreitet, dass von der Hauptstadt her ein Revisor unterwegs sei, um das Finanzgebaren der Stützen der Gesellschaft unter die Lupe zu nehmen, versammelt sich ein somnambuler, unappetitlicher Haufen. Kos-tümbildnerin Tanja Liebermann hat die verkommenen Dörfler in lange schmuddelige Männerunterhosen mit eindeutigen bräunlichen Einfärbungen und ebensolche Hemden gesteckt. Mit ihren geweißten glänzenden Gesichtern, blutunterlaufenen Augen und strähnig fetten Haaren wirken sie wie schmierige Zombies einer durch und durch maroden Gesellschaft. Nach anfänglichem Unglauben und Skepsis verbreitet sich schnell die Panik unter den Honoratioren, als sich die Anzeichen der Inspektion verdichten. Auf einmal fährt so etwas wie Leben in den leichenblassen Haufen. Nur zu verständlich, ist doch das, wofür allein sie da zu sein scheinen, der Mammon, in Gefahr, wenn der Revisor wirklich kommt. Lallend und durcheinander labernd spielen die kaum zu einem klaren Gedanken fähigen Vertreter der Elite, der Kreisrichter (Erwin Ebenbauer), der Schulinspektor (Alexander Lhotzky), der Hospitalverwalter (Thomas Kamper), der Postmeister (Rainer Frieb) und die Gutsbesitzer (Matthias Mamedorf und Günther Wiederschwinger) zusammen mit dem Bürgermeister (Günter Franzmeier) Reaktionen durch, wie dem Revisor zu begegnen sei. Und wie selbstverständlich scheint die einzige Erfolg versprechende Lösung die Bestechung zu sein. Der irrtümlich für den Revisor gehaltene Chlestakov von Marcello de Nardo ist ein Hochstapler aus Gelegenheit. Selber in finanziellen Nöten, stolpert er ganz unverhofft in eine Geschichte, in der er nur allzu schnell bereit ist mit anar-chistischem Charme die ihm unverhofft zugewiesene Rolle monetär und amourös auszunutzen.

Theater wie im richtigen Leben

Was durch die Kostüme angezeigt wird, doppelt Schulte-Michels mit der Spielweise nach, indem er seine Figuren mit slapstickhafter Überzeichnung agieren lässt. Sie stolpern und torkeln, taumeln und grimassieren herum und outrieren nach Kräften. Der Regisseur hat ihnen dafür einen formidablen wie bedeutungsschweren Spielplatz eingerichtet. Steil ragt eine unten die ganze Bühnenbreite einnehmende Showtreppe hinauf, an deren Ende das goldene Bühnenportal samt Vorhang gedoppelt ist.

Hier sind alle Bestechungsversuche offen, sind nicht subtil, geschehen nicht im Verborgenen. Ein prima Spaßplatz für das Auf-Ab-Spiel einer kurzweiligen Schmiergeld-Orgie. Theater wie im richtigen Leben.

Der Revisor

Volkstheater nächste Termine: 4., 10., 13., 14., 18. April

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