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Wiener Festwochen: Ibsens Drama stimmig in die High Society von heute verpflanzt.

In den Sound cooler Christmas-Morning-Songs tritt Ibsens Thorvald Helmer (Jörg Hartmann) wie ein Generation-Golf-Banker aus einer amerikanischen Vorabend-Serie. In der schlicht-eleganten Nobel-Loft (Bühne: Jan Pappelbaum) mit getrennten Wohnbereichen für die Bedürfnisse aller Familienmitglieder zeigt sich eine moderne High Society-Family. Durch die Mitte des Salons geht ein diskreter Laufsteg aus edlem Kirschholz, damit die Dame des Hauses angemessen repräsentieren kann. Und auch das Aupair-Mädchen Helene - nein, Monika heißt doch die Neue - gehört zur Familie.

Ibsen als Bild von heute

Berliner Schaubühnen-Intendant Thomas Ostermeier inszeniert Ibsens 1879 entstandenes Skandalstück "Nora" nicht als Emanzipationsdrama, sondern als Abbild aktueller reaktionärer Beziehungsmodelle. Seine Nora ist ein sichergestelltes Zierfischlein im überdimensionalen Aquarium heutiger Wertigkeitsvorstellungen. Privat und öffentlich sind eins, oder vielmehr: erst durch die Öffentlichkeit wird das Privatleben legitimiert. In der gegenwartsbezogenen Inszenierung ist Hausfreund und Arzt Dr. Rank (Lars Eidinger, der auch für die Musik verantwortlich zeichnet) Opfer der Zeitkrankheit Aids, eine tragikomische Figur, die allen anderen, nur nicht sich selbst zu helfen weiß. Als Engerl kostümiert stolpert er mit gebrochenen Flügeln in einer herrlichen Slapstick-Nummer durch Helmers Familienidylle. Key Bartholomäus Schulzes Rechtsanwalt Krogstadt ist ein verzweifelter Emporkömmling, ein großes Kind, das am Ende an Kristine Lindes (Jenny Schily) Busen sein Schicksal beweint. Anne Tismer spielt und tanzt Noras Angst- und Manipulationsspirale in einem atemberaubenden Tempo. Perfekt kontrolliert ringt sie im Designerkostüm mit der inneren Not. Nervös mischt sie mintgrüne Cocktails, rückt unentwegt etwas zurecht, hüpft leichtfüßig die Treppe hinauf und hinunter, leiht allen ihr Ohr ohne zuzuhören. Ein starrer Blick, der hofft, dass sich das Lebensgerüst nicht als Fassade entpuppt.

Letztes gemeinsames Ziel ist eine Party, auf der sie als Lara Croft auftritt - klinisch perfekter Frauenkörper, Wunschprojektion für beide Geschlechter. Danach folgt die Enthüllung, die Tismers Nora in Wirklichkeit herbeisehnt - in der Hoffnung, sich in ihrem gönnerhaft-sabbernden Ehemann getäuscht zu haben. Aber ihr Gefühl muss ihr Recht geben: Als Vorführpuppe hat sie zu funktionieren. Mehr nicht. Ostermeier hält sich an das radikale Ende Ibsens: Seine Nora erschießt ihren Helmer.

Jeder Darsteller ein Star

Kühl-distanziert ist Ostermeiers Blick auf seine Schauspieler, präzise führt er sie und überlässt sie dann sich selbst. Man mag Ostermeier vorwerfen, theatrale Klischees zu verbrauchen, denn filmische Elemente und nicht wegzudenkende Slapstick-Auftritte sind stets Teil seiner Arbeiten. Doch Ostermeier weiß, was er tut und verfolgt mit seiner "Nora" ein stimmiges Konzept. Da passiert soviel zwischen den Figuren, dass Ibsen wie ein Dramatiker von heute daherkommt. Und noch etwas kann Ostermeier wie kein anderer: Jeder Figur schenkt er volle Aufmerksamkeit, jeder Darsteller ist bei ihm ein Star - und damit gelingt ihm Ensemblespiel allererster Qualität.

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