Der Sommer und das große "ß"

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Unterwegs in der weiten Welt standen Araber, Papuas, Tibeter und andere vielfach vor einem Rätsel - und hießen mich meist als 'NUBBAUMER' willkommen.

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Unterwegs in der weiten Welt standen Araber, Papuas, Tibeter und andere vielfach vor einem Rätsel - und hießen mich meist als 'NUBBAUMER' willkommen.

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Endlich ist Sommer, Urlaubszeit - und weil auch die Ernsthaftesten unter uns für einige Wochen einen Appetit auf Entspannung, leichte Muse und auf Abkehr von den schweren Seiten unseres Lebens verspüren, kann ich heute von einer lebenslangen, nun endlich überwundenen persönlichen Last berichten: Mit 29. Juni hat der "Rat für deutsche Rechtschreibung" nach mehr als einem Jahrhundert des Zögerns sein Regelwerk aktualisiert und das bislang unzulässige große "ß" in den Kanon des Erlaubten aufgenommen.

Für die überwältigende Mehrzahl unserer Leser wird diese Entscheidung vermutlich unterhalb ihrer Wahrnehmungsschwelle liegen. Und manche von Ihnen mögen diese Zeilen kopfschüttelnd als eine vertane Gelegenheit erachten, Wichtiges zu thematisieren. Für mich aber ist es das nicht - ich war seit Kindheit ein programmiertes Opfer: Den "Nußbaumer" dokumentierte meine Geburtsurkunde noch als "Nuhsbaumer" - und mein Reisepass (bis zur Rechtschreib-Reform noch ein Reisepaß) machte mich - letztlich falsch -in Großbuchstaben zum "NUSSBAUMER".

Das ß in der weiten Welt

Unterwegs in der weiten Welt standen Araber, Papuas, Tibeter etc. meist vor einem Rätsel - und hießen mich meist als "NUBBAUMER" willkommen.

Als mir ein Bundespräsident später Blumen ins Krankenhaus schickte, landeten sie prompt im Nirgendwo: Die Poststelle des Spitals hatte mich als "NUSZBAUMER" im Computer - und empfand den Strauß als Irrläufer.

Und Verlage, die bereit waren, meine Texte zwischen Buchdeckeln erscheinen zu lassen, verzichteten lieber darauf, ihren Autor am Titel in Großbuchstaben zu bewerben -zu seltsam erschien ihnen das unattraktive kleine "ß" zwischen den stolzen Versalien.

"Es steht dem 'Rat für deutsche Rechtschreibung' nicht zu, Buchstaben zu erfinden", hieß es bis zuletzt streng. Und: "Jeder Buchstabe existiert als Kleinbuchstabe und als Großbuchstabe (Ausnahme "ß")."

Jetzt ist alles anders. Die Typographen basteln an der Gestaltung ästhetisch anspruchsvoller Entwürfe, die vom großen "B" hinreichend unterscheidbar sind; die auch ohne Spezialwissen verstanden werden - und die sich harmonisch in den klassischen Textsatz einfügen. Zum Glück kennt unsere Sprache zumindest kein Wort, in dem ein "ß" am Wortanfang steht.

Für Menschen wie mich ist also Aufatmen angesagt, aber auch Zurückhaltung, nicht in verfrühte Freude zu verfallen. Denn im Zeichen der Globalisierung wird unsereiner auf Dienst- und Urlaubsreisen ins ferne Ausland auch künftig - angesichts des neuen Buchstaben - nicht der Ratlosigkeit seiner Gastgeber entkommen. Wie bisher werde ich dort auf Menschen stoßen, die sich dem Dilemma der falschen Anrede durch einen Fluchtversuch entziehen -und sich auf ein "Mr. Heinz" verlegen. Was manche private Bindung fördert, die zumeist, aber nicht immer, das Leben leichter macht ...

Heinz Nußbaumer

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