Die Kirchen und der Markt

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Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, laufen derzeit die Vorbereitungen zu einem Sozialwort der christlichen Kirchen in Österreich. Das Dokument ist eine Art ökumenische Fortsetzung des katholischen Sozialhirtenbriefes aus dem Jahr 1990. Heute wie damals hat ein solches Unterfangen nur einen Sinn, wenn die christlichen Kirchen darin ihre Position zur Marktwirtschaft klarlegen.

Und genau dort liegt ihr Problem: Man muss nicht so weit gehen wie der Wiener Ökonom Erich Streissler, dem es gefällt, den Papst wegen seiner einschlägigen lehramtlichen Aussagen für einen der letzten Marxisten zu halten, um zu sehen, dass die christliche Soziallehre heute ihre liebe Not mit dem Markt hat. Exemplarisch studieren lässt sich das Dilemma anhand der Lektüre von Carl Amerys im letzten Jahr erschienenen Buch "Global Exit. Die Kirchen und der totale Markt". Amery analysiert darin auf brillante Weise (und in Anlehnung an einen Essay von Walter Benjamin) die religiösen Konnotationen des totalen Marktdenkens, er zeigt die dogmatischen Mechanismen auf, nach denen die Religion des totalen Marktes funktioniert.

Man ist fasziniert vom Assoziationsreichtum des streitbaren 80-Jährigen. Aber nach der Lektüre des äußerst mageren Schlusskapitels "Was tun?", in dem Amery die Montage von Solaranlagen und andere durchaus ehrbare Aktivitäten empfiehlt, zeigt sich: Der Neigung vieler christlicher Ethiker, den Markt als totalitäres, menschenfeindliches System anzugreifen, steht keine nennenswerte Expertise in Bezug auf das zeitgenössische Wirtschaftsleben gegenüber.

Und so wird beim Sozialwort herauskommen, was herauskommen muss: Marktwirtschaft, ja eh, aber bitte, bitte nicht auf die soziale Komponente vergessen. Das freilich ließe sich auch mit weniger Aufwand feststellen.

Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur der "Presse".

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