Ein Leben wie eine lange Diät?

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Ein Jahr ethisch korrekt leben - das war die Aufgabe für den Journalisten Leo Hickman. Und weil es so gut gelaufen ist, kann er nicht mehr damit aufhören, und eine Salzburger Gruppe macht es ihm jetzt nach.

Eine Tageszeitung, der britische Guardian, gibt einem Journalisten, Leo Hickman, den Auftrag, ein Jahr lang ethisch korrekt zu leben und in der Zeitung darüber zu berichten, was bei diesem Experiment leicht und was nicht leicht geht und vor allem, was gar nicht geht. Hickman beginnt sein und seiner Familie Leben umzukrempeln. Drei Experten analysieren den Lebensstil der Familie, ihr Ergebnis ist ernüchternd: kaum etwas ist ethisch unbedenklich bzw. umweltverträglich. Hickmans sind "ethisch schwer belastet" mit Produkten großer Konzerne, die es aufgrund ihrer Firmenpolitik zu boykottieren gilt, mit giftigen Stoffen in Putzmitteln und mit Lebensmitteln, die tausende Kilometer um die Welt geschickt wurden, ganz zu schweigen von Hickmans eigenen (Flug-)Reisegewohnheiten.

Öko-Gemüse, neue Bank …

Die Familie stellt sich um: nur mehr Gemüse aus ökologischem Landbau und immer nur das, was zurzeit in England gerade reif ist; soziales Engagement wird wichtig, die Bank gewechselt, das Baby nicht mehr mit Wegwerfwindeln gewickelt und ein umweltschonender Urlaub - Wandern in Italien, Anreise per Zug - gebucht. Dazu kommen selbst hergestellte Putzmittel, die aber nicht immer jedem Schmutz gewachsen sind; besonders schwierig wird's, als ein Kind krank ist: "Es ist schön und gut, sich selbst einzureden, dass es der Erde ohne uns Menschen wesentlich besser ginge, und dass die Sorge um die Gesundheit eine egoistische Obsession ist, aber wenn Ihr Kind krank ist, lichtet sich der Nebel: Geben Sie ihm die besten Medikamente, die es gibt, und zwar sofort!" Als Hickman schließlich seiner Frau vorschlägt, auf ihr Lieblings-Make-up zu verzichten, reagiert diese mit Boykott …

Doch der Widerstand währt nur kurz und das ethisch-korrekte Jahr hat die Familie mittlerweile "auf die Dauer eines neuen Lebens verlängert", das Leo Hickman in dem Buch Fast nackt. Mein abenteuerlicher Versuch, ethisch korrekt zu leben beschreibt: "Heute denke ich bei allem, was ich tue, darüber nach, wie es sich auf die Umwelt auswirkt", erzählte Hickman Anfang dieses Monats in einem Interview mit der Deutschen Presse Agentur (dpa). "Wenn ich beispielsweise einkaufe. Manchmal muss ich dabei aufpassen, dass ich nicht verrückt werde." Dennoch legt Hickman großen Wert darauf, kein Öko-Fundamentalist zu sein: "Ethisches Leben ist immer ein Kompromiss", meint er und deutet im dpa-Gespräch auf den Plastikbecher mit Wasser vor sich: "Sicher ist das keine umweltfreundliche Verpackung, aber was soll ich machen, wenn es gerade keine Alternativen gibt?" Eine persönliche Geschichte wollte er mit seinem Erfahrungsbericht erzählen, und dabei nicht belehrend sein, denn "der Fehler der Umweltbewegung in den vergangenen Jahrzehnten war", laut Hickman, "dass sie die Leute mit erhobenem Zeigefinger erziehen wollte."

Italienische und …

Jetzt war Leo Hickman nicht der erste, der sich auf ein solches ethisches Experiment eingelassen hat - durch die Zuspitzung auf eine Person bzw. eine Familie und die regelmäßige Medienberichterstattung ist seine Wirkung in der Öffentlichkeit aber um vieles größer als z.B. das italienische Projekt "Bilanci di Giustizia", das vor gut zehn Jahren von einem Priester in der Erzdiözese Venedig gestartet wurde und bei dem die Teilnehmer Rechenschaft über ihren Konsum ablegen mussten. Insgesamt 469 Familien machten bei diesem Projekt mit und wurden dabei auch wissenschaftlich begleitet.

… österreichische Hickmans

In Österreich propagierte lange vor Hickman die "Arbeitsgemeinschaft Schöpfungsverantwortung" die "Bilanzen der Gerechtigkeit" - so wie in Italien zu beobachten, ging aber auch bei den österreichischen Teilnehmern das Interesse daran nach einem Jahr deutlich zurück. "Sollte man ein solches Leben wie eine lange Diät sehen, nur dass man sich statt Schokoladen-Eclairs, Chips und Vollmilch den Treibhauseffekt, Toxine und egoistische Angewohnheiten versagt?", fragt Hickman - und viele ethisch-korrekt lebende Menschen im italienischen und österreichischen Projekt werden sich diese Frage gestellt und mit ihrem Ausstieg aus den Bilanzen der Gerechtigkeit beantwortet haben.

"Keine Lasten schnüren, die wir auf Dauer nicht tragen können", will hingegen die Initiative "unicum:mensch" rund um den Salzburger Ethikprofessor Clemens Sedmak (siehe Interview unten). zwölf Teilnehmer versuchen dabei "Hickman auf Salzburgerisch" zu leben - mit dem Ziel, ihre Erfahrungen systematisch aufzuarbeiten. Und auch um dem Vorurteil entgegenzuwirken, gegen das schon Hickman wettert: "Ich bin überzeugt, dass manche Menschen immer noch glauben, wir hätten ein Schild an der Haustür, auf dem steht: ,Sie betreten jetzt ethisches Gebiet. Lassen Sie bitte jede Spur Ihres verschwenderischen, gedankenlosen Lebens hier.'"

FAST NACKT

Mein abenteuerlicher Versuch, ethisch korrekt zu leben. Von Leo Hickman, Pendo Verlag, München 2006, 320 Seiten, brosch., € 16,90

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