"Mein Leben ist voll ausgefüllt“

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Seit 14 Jahren engagiert sich Hanni Weininger in der Caritasgemeinde der Erzdiözese Wien für obdachlose Menschen. Sie verwaltet das Kleiderdepot, besucht ihre Schützlinge in Kranken- oder Abbruchhäusern - und hat nur davor Angst, dass ihr Auto streiken könnte.

"Das ist unser Reich“, sagt Hanni Weininger und deutet mit ihrem Arm in einen bis unter die Decke angefüllten Raum. Bettwäsche, Handtücher und Kopfpolster stapeln sich hier ebenso wie Hosen, Hemden und Schuhe. Und doch ist es nie genug für all jene Menschen, die am Donnerstag Vormittag hierher in die Mentergasse 13 kommen - zur wöchentlichen Kleiderausgabe der Caritasgemeinde der Erzdiözese Wien. "Jetzt, wo es immer kälter wird, brauchen wir vor allem warme Herrensocken, lange Unterhosen, Pullover, Jacken, Handschuhe, Hauben, Decken und Schlafsäcke“, erklärt die quirlige 66-Jährige, die alle hier nur Hanni nennen. Gemeinsam mit einer Freundin hat sie den Überblick über das Depot, sortiert einlangende Kleiderspenden und holt sie bei Bedarf selbst mit ihrem Auto ab. Erst heute früh hat sie vom Haus Immanuel, einem Mutter-Kind-Haus der Caritas im 20. Wiener Gemeindebezirk, einige Paar Schuhe erhalten und damit ihren Fundus aufgestockt. "Wir haben ein goldenes Netz“, sagt Hanni Weininger und lacht dabei.

Sie selbst ist in diesem Netz zu einem unverzichtbaren Knoten geworden. Seit 14 Jahren ist die verwitwete Frau, zweifache Mutter und dreifache Großmutter beinahe täglich für die Menschen der Caritasgemeinde im Einsatz: Sie fährt Alkoholkranke hinauf zur Baumgartner Höhe oder besucht sie in Abbruchhäusern; sie hütet Meerschweinchen, während ihre Herrln im Krankenhaus liegen; sie organisiert gemeinsam mit dem umtriebigen Pastoralassistenten der Caritasgemeinde, Christian Wetschka, Kinobesuche oder Kegelabende; und sie spielt alle zwei Wochen mit den Bewohnern jener WG, die "VinziRast“-Gründerin Cecily Corti ins Leben gerufen hat, Canasta. "Ich bin überall dabei“, sagt diese Frau, deren größte Angst in einem streikenden Auto besteht. "Mein Leben ist voll ausgefüllt.“

Vorbereitung auf komplizierte Menschen

Das war nicht immer so. "Im Grunde habe ich alle Dinge, die ich vorher gemacht habe, nicht wollen,“ erinnert sich Hanni Weininger: die Lehre zur Schuhverkäuferin nicht, das Schokoladengeschäft nicht, das sie gemeinsam mit ihrem Mann eröffnen musste - und auch diese Ehe nicht. "Mein Mann hat immer mit mir geschrien“, erzählt sie, "aber vielleicht war das die Vorbereitung auf komplizierte Menschen.“ Als ihr Gatte schließlich 1995 nach schwerer Krankheit stirbt, sucht die 50-Jährige nach einer neuen Aufgabe. Über ihre Schwiegertochter lernt sie Tomas Kaupeny kennen, den charismatischen Pfarrer der Caritasgemeinde. Er motiviert sie, regelmäßig Zeit mit dem kleinen Christoph zu verbringen, der im Caritas-Kinderheim "Am Himmel“ wohnt. Um Firmpatin des schwerbehinderten Buben werden zu können, muss sie freilich erst selbst dieses Sakrament nachholen und besucht im damaligen Büro von Pfarrer Kaupeny im Männerheim in der Gfrornergasse den Firmunterricht. "Und dann ist es losgegangen“, sagt Hanni Weininger lächelnd.

Was hat sie seither nicht alles erlebt! Eine obdachlose Frau, die nur wegen ihrer Katze in eine Wohnung zieht und selbst lieber auf dem Boden schläft; die Freudentränen eines Zwei-Meter-Hünen, dem sie einen Nikolaus-Stab gebastelt hat; aber auch Leute, die ihr eine Ein-Euro-Münze als Spende in die Hand drücken - mit den mahnenden Worten: "Nur für jemanden, der es wirklich braucht!“ "Das habe ich fast nicht ausgehalten damals“, empört sie sich noch heute.

Zu tragisch sind viele Schicksale, von denen sie erfährt. Einen ihrer Lieblinge, sein Name war Hermann, hat sie selbst in dessen Wohnung mit gerissener Aorta aufgefunden. Sein Foto hängt - wie die Bilder aller verstorbenen Gemeindemitglieder - bunt gerahmt im Stiegenhaus in der Mentergasse und soll die Erinnerung an ihn lebendig halten. "Es gibt schon so Tage, da bleibt einem die Luft weg“, sagt Hanni Weininger, "aber das gehört eben zu dieser Berufung.“

Wesentliche Kraftquelle ihres Engagements ist der gemeinsame Gottesdienst der Caritasgemeinde. Bis zu 250 Menschen treffen sich jeden Sonntag um 18 Uhr in der Kirche am Schedifkaplatz in Wien Meidling, um mit Pfarrer Kaupeny ein Fest der Nächstenliebe und Solidarität zu feiern. Da sitzt plötzlich ein Obdachloser und schwerer Alkoholiker neben einem Rechtsanwalt aus dem ersten Bezirk; da setzt sich beim Friedensgruß plötzlich die ganze Kirche in Bewegung; und da steht auch die Hanni schwungvoll auf und küsst bei diesem "Friedenstanz“ die halbe Caritasgemeinde.

Viele derer, die sie umarmt, sind krank, die meisten stinken erbärmlich. Doch ihr ist das einerlei. "Ich liebe diese Menschen“, meint sie lächelnd in ihrem Kleiderdepot. "Wenn ich vor dem Gottesdienst in die Runde schaue, dann geht mir das Herz auf.“ Lebhaft kann sie sich an eine der ersten Agapen erinnern, bei der sie mitgeholfen hat. Neben ihr stand eine alte, stinkende Frau, die sich trotz mehrfacher Aufmunterung kein Brot nehmen wollte. Erst als wirklich nichts mehr übrig war, drehte sie die Brösel zu einer Kugel zusammen und schob sie sich in den Mund. "Da habe ich so eine Achtung vor dieser Frau bekommen“, sagt Hanni Weininger. "Seitdem rieche ich das nicht mehr.“

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