Nur verzerrte Wirklichkeit

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Zur Tragödie von Lassing gehört auch die völlige Undurchschaubarkeit der Berichterstattung.

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Zur Tragödie von Lassing gehört auch die völlige Undurchschaubarkeit der Berichterstattung.

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Ein "positives kollektives Schockerlebnis" konstatierte Peter Vitouch gegenüber der APA. Der gutartige Schock, der da den Medienkonsumenten verpaßt wurde, war - so der Wiener Medienpsychologe - die via TV verbreitete Nachricht von der wundersamen Rettung des Georg Hainzl am denkwürdigen Abend des 26. Juli.

"Even good news are good news", so ließe sich obige Aussage als Umkehrung jener Journalistenregel formulieren, nach der nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind. Vitouchs Resümee der Wundernacht: "Wir wurden Zeugen der modellhaften Negation des Negativismusfaktors bei Nachrichten."

Dieser Aspekt - die Bekehrung der Medien von notorischen Schwarzmalern zu wunderbejubelnden Weißzeichnern - mag noch relativ unbeleuchtet sein, weist aber darauf hin, daß "Lassing", neben allen menschlichen, technischen, wirtschaftlichen (vgl. Seite 2 in dieser Furche) Aspekten und neben der anschwellenden Kritik am Krisenmanagement auch ein Ereignis darstellt, das von einigen Höhen und vielen Tiefen der Medien Zeugnis gibt.

Schon die Rolle des ORF weist auf die Ambivalenz des Unterfangens hin, der Öffentlichkeit ein einigermaßen stimmiges Bild von den Geschehnissen zu vermitteln, anders gesagt: Daß die Wirklichkeit von Lassing der über TV-Schirme oder Printartikel vermittelten Realität entspricht, ist zu bezweifeln.

Dem ORF gelang es an jenem 26. Juli, Dramatik und Erleichterung frei Haus zu liefern. Und, wie die Einschaltzahlen zeigen: Österreich fieberte mit. Tags darauf feierte die Anstalt diesen "Erfolg" gleich doppelt: in ZiB 1 und ZiB 2 gab es (vom Wetterbericht abgesehen) keine weiteren Meldungen. Dafür durfte sich Josef Broukal in der ZiB 1 der traumhaften Quoten vom Vortag rühmen, und Kollegin Ingrid Thurnher machte - live aus Lassing - die ZiB 2 zum Tribunal gegen tatsächliche oder vermeintliche Unfähigkeit der Retter.

Auch in den folgenden Tagen blieb der ORF am Ball, Josef Broukal ließ keine Gelegenheit aus, vom Wiener TV-Studio aus gegen die Einsatzleitung zu granteln. Am Sonntag nach dem "Wunder von Lassing", als die zehn Verschütteten immer noch nicht geortet waren, blieb der ORF bei den Sondersendungen; mehrere Reporter berichteten in mehreren Beiträgen darüber, daß es nichts zu berichten gab: Die Ereignisse waren also auch in medialer Hinsicht ihrer Eigendynamik erlegen. Josef Broukal verschlug es dann in der ZiB 1 vor Emotion gar die Stimme, und er merkte an, daß nun eigentlich eine Minute Pause notwendig wäre, aber das ginge im Fernsehen ja nicht, um dann - nicht mehr emotionell, sondern ganz und gar gefaßt - auf den Kosovo-Konflikt und das dortige Morden überzugehen.

Nicht nur der ORF legte sich ins Zeug, auch die ganze deutschsprachige TV-Szene war nach Lassing angereist, und so konnte ein geübter Channelhopper letzten Sonntag jederzeit einen Sender auftreiben, der gerade über Lassing berichtete. Im Privatkanal SAT.1 wurde sogar in den laufenden Film per Insert eingeblendet, daß man in Lassing endlich den Versorgungsschacht zum "Dom", in dem man die Verschütteten zu finden gehofft hatte, durchgebohrt habe.

Immerhin drang via Medien ein wenig durch, was die Medien selbst in Lassing anstellten: Daß die ORF-Reporterin in der Sonder-ZiB am 2. August gestand, kaum mehr Interviewpartner aus Lassing zu bekommen, weil die Bevölkerung offenbar schon ziemlich aufgebracht gegenüber den Journalisten war, sprach Bände. Außerdem konnte kein Medienkonsument mehr überblicken, welche "Experten" etwas zu sagen hatten, und - was schwerer wiegt - welche dieser "Expertisen" wirklich von Relevanz waren.

Zur Tragik von Lassing gehört, daß durch die völlige Undurchschaubarkeit in der Berichterstattung die bemängelte Intransparenz gesteigert wurde. Und daß die Medienmaschinerie - auch wenn diese vorgibt, der Aufklärung zu dienen - die Intimität der Trauer und die Diskretion vor dem Leid der Hinterbliebenen mißachtet und letztlich verhöhnt.

Besonders klar wurde die Dimension, um die es hartgesottenen Medienmachern geht, im Fellner-Magazin "tv-media", wo Chefredakteur Christoph Hirschmann den ORF lediglich dafür kritisierte, daß er keinen Chefproducer am Ort hatte, und den Privatsender SAT.1 lobte, weil dieser einen als Feuerwehrmann verkleideten Kameramann bei der Rettung Georg Hainzls einschleuste und so zu seinen TV-Bildern kam. Die einzigen "legalen" Fotos von Georg Hainzl, so "tv-media", seien im übrigen "News", also dem Schwesterblatt, gelungen ...

Damit nicht genug: In derselben "tv-media"-Ausgabe wurde die "Qualität" der heimischen Printmedien danach beurteilt, wer in der Montagausgabe nach dem "Wunder von Lassing" ordentlich reüssierte: Ein "Waterloo", so lautete die Charakteristik für die "Presse", weil dort - wegen zu frühen Redaktionsschlusses - im Leitartikel der Tod von Georg Hainzl beklagt wurde. Andere Zeitungen wurden nach gleichem Schema bewertet.

In allen Übertragungen und Berichten wurden Einschätzungen aus der Ortsbevölkerung zitiert und präsentiert, erst der Mediendruck habe die Einsatzleitung zum Handeln gebracht. (Ständiges Wiederholen solcher Aussagen nährte aber auch den Verdacht, hier wollten die Medien sich selbst und ihr Agieren legitimieren.) Ortspfarrer Paul Scheichenberger redete anders, als er am Montag in der ORF-Sendung "Treffpunkt Kultur" einer Benefizauktion beiwohnte. Lassing sei traumatisiert, sagte Scheichenberger und klagte damit die Medien an: Er sprach von Exhibitionismus und Voyeurismus und davon, daß man Georg Hainzl, den Geretteten, "wie einen Yeti" behandelt hätte.

Unbestritten bleibt, daß chaotisches Krisenmanagement das Medienspektakel beförderte: Eine koordinierte und professionelle Informationspolitik der Einsatzleitung hätte vermutlich auch die Wirklichkeit von Lassing, wie sie medial vermittelt wurde, der Realität angenähert.

Vom "positiven kollektiven Schockerlebnis", das die Medien zu Lassing verbreitet hätten, kann aber keine Rede sein.

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