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Verfehlt wie Paris oder verdeckt wie Amerika sind die potenziellen Reiseziele in Wladimir Kaminers neuestem Erzählband "Die Reise nach Trulala". Die Reisenden verlaufen sich in Dänemark, verderben in Sibirien oder sind auf der Krim verschollen. Das Präfix ver- wiederholt sich als Anapher in den Titeln aller fünf Erzählungen. Die Etymologie vermutet die Herkunft der Vorsilbe im indogermanischen per, das so viel bedeute wie "hinübergehen", aus derselben Wurzel bildete sich auch das "Fahren". Doch mit der Zielgerichtetheit des Letzteren haben die Bewegungen der Protagonisten dieser Geschichten wenig gemein.

Der flotte Ich-Erzähler steht seinem Autor recht nahe. Wie Kaminer verbrachte er Kindheit und Jugend in Moskau, studierte an einer Theaterschule und lebt seit 1990 in Berlin. Die erste Erzählung, "Verfehltes Paris", setzt hier an: Die DDR befindet sich in Auflösung, an die Stelle der ostdeutschen Ausweise treten bald "neue westliche Papiere" und mit ihnen wird dem Erzähler und seinem Freund die "absolute Reisefreiheit" zuteil. Das Schöne an dieser Freiheit ist, dass sie niemanden zwingt, von ihr Gebrauch zu machen. Mit einer Busfahrkarte nach Paris in der Tasche nehmen sich daher die Freunde die Freiheit, gar nicht erst dorthin zu fahren. Dafür reisen sie durch Erinnerungen und durch Erzählungen von und über Dritte, die in der Stadt mit dem verheißungsvollen Namen ihr Glück versucht haben.

Was seine Bekanntheit betrifft, hat Kaminer selbst längst die Grenzen Deutschlands überschritten. "Russendisko" ist nicht nur der Titel seines 2000 erschienenen Erzählbandes, sondern auch einer von Kaminer im Berliner Kaffee Burger ins Leben gerufenen Veranstaltungsreihe, die sogenannten Kultstatus erreicht hat und mittlerweile auch in andere Städte exportiert wird. Worauf sein Erfolg sich gründen könnte? Nichts ist ganz ernst zu nehmen, nichts ist tragisch an all diesen Geschichten von Begegnungen zwischen Ost und West. Kein Missgeschick, kein Scheitern, das sich nicht in komische Distanz verrücken ließe. Aber auch kein Traum, keine Utopie, die vor Entzauberung sicher wären und nicht dem Lachen preisgegeben werden könnten. Die in die jeweils andere Himmelsrichtung projizierten Sehnsüchte der Figuren dekuvrieren sich gegenseitig. Was bleibt, ist die Lust des Erzählers an der Anekdote, sein Gespür für die Komik des Zusammenpralls zwischen romantischen Vorstellungen und Realitäten, die die Lektüre kurzweilig, wenngleich nicht allzu nachhaltig machen.

Wo Trulala liegt? Ein Dorf auf der Krim soll so ähnlich heißen - ein deutscher Student verirrt sich auf der Suche nach dem Absturzort von Joseph Beuys dorthin. Er findet zwar nicht das, wonach er sucht, aber darum geht es auch nicht. Auf eine bestimmte Haltung kommt es an. Wer sich Sinn für die grundsätzliche Abenteuerlichkeit des Lebens und die Exotik jedes Alltags bewahrt hat, der kann auch im Supermarkt um die Ecke auf Trulala stoßen.

Die Reise nach Trulala

Erzählungen von Wladimir Kaminer

Goldmann Verlag, München 2002

187 Seiten, geb., e 18,50

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