Wenn keiner mehr hinschaut

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Im November 2007 starb der siebzehn Monate alte Luca an den Folgen schwerster sexueller und körperlicher Misshandlung. Die Aufregung in Politik und Medien war enorm. Die damalige Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky kündigte eine Reform des Jugendwohlfahrtsgesetzes an. Experten erarbeiteten Verbesserungsvorschläge im Bereich Kinderschutz. Zweieinhalb Jahre später droht das neue Gesetz, so zahlreiche Fachleute, in einer zahnlosen und verwässterten Variante besiegelt zu werden. Der leicht zu erratende Grund: Der politische Wille, mehr Geld in diesem Bereich in die Hand zu nehmen, ist bei den dafür zuständigen Ländern nicht vorhanden.

Am 13. April 2010 trafen sich rund 40 Expertinnen und Experten zum Runden Tisch, um Kinder und Jugendliche besser vor sexuellem Missbrauch zu schützen und den Opfern besser zu helfen. Die einladenden VP-Politikerinnen – Jusitzministerin Claudia Bandion-Ortner und Familienstaatssekretärin Christine Marek – präsentierten nach der dreistündigen Veranstaltung einige Verbesserungsvorschläge.

Finanzierung ist Knackpunkt

Doch so konkret einige Vorschläge auch waren, so vage wurden die Anssagen der Politikerinnen, wenn es um die Finanzierung der Maßnahmen gehen soll. Auch hier gilt wie im Fall Luca: Nur an der Finanzierung der Maßnahmen wird man erkennen, ob diese Veranstaltung, wie viele meinen, eher eine PR-Aktion zweier Politikerinnen ist als ein ernsthafter Versuch, Missbrauch zu verhindern und Opfern zu helfen. Wenn am Ende des Tages, wenn niemand mehr darüber spricht und hinschaut, wieder Opferschutzeinrichtungen um ihre Finanzierung bangen müssen und die Jugendwohlfahrt weiterhin unter knappesten Ressourcen arbeiten muss, dann kann man in Zukunft auf solche Round Tables getrost verzichten.

Obwohl die präsentierten Vorschläge durchaus Sinn machen: Pädagoginnen und Pädagogen sowie medizinische Fachkräfte sollen besser aus- und fortgebildet werden, Schnittstellen zwischen einzelnen Berufsfeldern geschlossen werden, speziell mit dem Thema Missbrauch befasste Staatsanwälte sollen für Opfer da sein. Ein weiteres Expertengremien wird sich mit Missbrauch in Institutionen befassen. Neu ist das alles aber nicht.

Draußen vor der Tür

Bei all diesen Vorschlägen wird eines deutlich: Wer nicht beim Round Table saß: etwa Bildungsministerin Claudia Schmied, die für die Lehrerausbildung zuständig ist, und vor allem die Länder, die für die Finanzierung der Jugendwohlfahrt verantwortlich sind. In den Gesprächen mit diesen Verantwortlichen wird man sehen, wie ernsthaft das Bemühen ist, hat doch Christine Marek „einen nationalen Schulterschluss“ im Kampf gegen sexuellen Missbrauch eingemahnt.

Die Skepsis gegenüber der Veranstaltung gab es aber schon lange vor dem Runden Tisch: von Opferseite, von der immer größer werdenden Gruppe von Menschen, die als Kinder und Jugendliche von Priestern oder Ordensleuten sexuell missbraucht und Gewalt erfahren haben. Ihr Leid war Anlass für den Runden Tisch.

Auch wenn die Politikerinnen betonten, wie stark die Opfersicht von Experten eingebracht wurde und wie sehr sie den Mut der Opfer, über ihr Leid zu sprechen, bewundern – die Angesprochenen fühlen sich nicht ernst genommen wie schon oft zuvor auf ihrem Leidensweg. Das ist der bedenklichste Punkt am Runden Tisch und dem Verlauf der Diskussion. So sinnvoll der Fokus auf die Zukunft und so begrüßenswert die einzelnen konkreten Vorschläge der Politikerinnen auch sind – zahlreiche Opfer stellen sich die Frage: Und wir?

Anstatt in die Diskussion einbezogen worden zu sein, demonstrierten einige von ihnen vor der Tür des Ministeriums am Stubenring in Wien, in dem der Runde Tisch stattfunden hat. Eine absurde und unerträgliche Situation.

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