Im Sumpf gelandet

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Der georgische Ex-Präsident Micheil Saakaschwili ist Gouverneur von Odessa und glänzt mit Vetternwirtschaft und Machtspielen.

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Der georgische Ex-Präsident Micheil Saakaschwili ist Gouverneur von Odessa und glänzt mit Vetternwirtschaft und Machtspielen.

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Als Vladislav Davidzon die Nachrichten aus der Heimat hörte, verließ er seinen wohl bestallten Posten als Korrespondent in Paris und kehrte nach Odessa, der Stadt seiner Mutter, zurück. Der in Usbekistan als Sowjetbürger geborene Davidzon hat sieben Jahre seiner Kindheit in der Hafenstadt am Schwarzen Meer verbracht. Und er fühlte die Aufbruchsstimmung, als vor etwas mehr als einem Jahr ein neuer Gouverneur wie ein Wirbelwind durch die Stadt fegte. Micheil Saakaschwili, der nach seiner Präsidentschaft in Georgien zu Hause zur Unperson geworden war, versuchte, in der Ukraine eine zweite politische Karriere zu starten. Doch was Davidzon sofort nach seiner Heimkehr bemerkte: der neue Hoffnungsträger machte sich auch in Odessa nicht nur Freunde.

Odessa strahlt den Charme einer kosmopolitischen Stadt aus, die immer etwas Besonderes gewesen ist. Unter der Bronzestatue von Katharina der Großen, die die Stadt 1794 gründete, zücken Scharen von Touristen das Handy für ein Selfie. Die breite Freitreppe, die die Innenstadt mit dem Hafen verbindet, wirkt weniger spektakulär als in Sergej Eisensteins Kultfilm Panzerkreuzer Potjomkin von 1925. In den Strandlokalen werden zu Disco-Musik teure Drinks kredenzt.

Im Juli lockt das Internationale Filmfestival Cineasten aus aller Welt an. Ukrainische Filmschaffende nutzen die Gelegenheit, um zwischen den internationalen Produktionen ihre neuesten Spielfilme und Dokumentationen zu präsentieren.

Schmuggel und Kultur

Odessa ist nicht nur die inoffizielle Kulturhauptstadt der Ukraine, sie ist auch ein Hort der Korruption und des organisierten Verbrechens. Die Häfen waren schon im Zarenreich Umschlagplätze für Schmuggel jeder Art. Der in Odessa geborene Isaak Babel weiß davon in seinen Geschichten aus Odessa zu berichten. Und heute, so der freie Kolumnist Nick Holmov, sei dort die russische Mafia über Mittelsmänner ebenso im Geschäft, wie armenische Dunkelmänner und ukrainische Oligarchen, die Millionen an Schwarzgeld waschen.

Im Mai 2015 wurde Saakaschwili von Präsident Petro Poroschenko als Gouverneur des Verwaltungsbezirks Odessa eingesetzt. Der Staatschef, der mit dem Georgier in Kiew Rechtswissenschaften studiert hatte, setzte den alten Freund zunächst als Berater ein und stattete ihn dann mit der ukrainischen Staatsbürgerschaft aus. Denn in seiner Heimat war der Ex-Präsident von der neuen Regierung ausgebürgert worden. Man wirft ihm Überschreitung seiner Befugnisse vor. Ein aufrechter Haftbefehl erlaubt ihm keine Rückkehr. Saakaschwili bekam vom Präsidenten freie Hand, seine Vertrauensleute mitzunehmen. So installierte er georgische Landsleute an der Spitze der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Die Zollbehörde übertrug er der erst 26-jährigen Philologin Yuliya Marushevskaya, die keinerlei Erfahrung mit Wirtschaft oder öffentlicher Verwaltung mitbrachte.

In Odessa erinnerte man sich an Saakaschwili als Protagonisten der georgischen Rosenrevolution, der mit allen Vorschusslorbeeren des Westens und fast 90-prozentiger Zustimmung an die Macht gewählt wurde. Sein Image als eiserner Besen war intakt. Auch die junge Abgeordnete Svitlana Salischtschuk, die mit Gleichgesinnten die Antikorruptionsbewegung Chesno gegründet hatte, war vom frischen Wind in Odessa angezogen. Sie sah den Georgier als möglichen Bündnispartner: "Er hat sich große Verdienste in einem postsowjetischen Staat erworben und war daher ein Vorbild für die Ukraine". Es war sogar von einer Allianz die Rede, sobald Saakaschwili seine eigene Partei gegründet haben würde. Inzwischen ist Salischtschuks Enthusiasmus hörbar verpufft: "Wir warteten auf greifbare Veränderungen" in Odessa. "Und die sind ausgeblieben".

Gefloppte Versprechungen

Saakaschwili, der immer aufmerksam bis zur Aufgedrehtheit wirkt, war mit einem Koffer voller Versprechungen angetreten. Er würde den maroden Flughafen aus der Sowjetzeit modernisieren, mit der Korruption aufräumen, eine Autobahn nach Reni an der rumänischen Grenze und damit eine Schnellverbindung in die Europäische Union bauen, ein Zentrum für Bürgerservice einrichten, wo jeder ohne Schmiergeld schnell seine Dokumente bekommt.

Die Journalistin Valeriya Ivaschkina ist ein Jahr später all diesen hochfliegenden Plänen nachgegangen. Und ihre Bilanz ist niederschmetternd. "Mit den offensichtlich unmöglichen Versprechungen habe ich mich gar nicht befasst: etwa in zwei Wochen mit der Korruption aufzuräumen." Von der Straße, so Ivaschkina, seien erst 17 Kilometer fertiggestellt. Und inzwischen ist das Geld ausgegangen. Denn ein großer Teil der Kosten von 2,6 Milliarden Dollar sollte dem Plan nach durch zusätzliche Zolleinnahmen finanziert werden. Die sind aber ausgeblieben, weil die neue Zollchefin russische Frächter nicht mehr hereinlässt.

Auch das neue Bürgerservice-Zentrum sei ein Flop, sagt die investigative Journalistin. Das Versprechen, dass die Amtswege dort schnell und kostenlos zu erledigen seien, sei nicht eingehalten worden. "Viele Leute zahlen lieber Schmiergelder, um unbürokratisch an ihre Dokumente zu kommen." Und statt mit der Behörde ein fertiges Gebäude in kommunalem Eigentum zu beziehen, habe der Gouverneur für teures Geld ein Büro in einem Haus angemietet, das einem Oligarchen gehört. Zahlen muss die Stadt. Die Oligarchen Boris Kaufman und Adnan Kivan würden dank Saakschwili gute Geschäfte machen und ihm dafür ein aufwändiges Leben in Luxuswohnungen und mit Reisen im Privat-Jet ermöglichen.

Saakaschwili selbst ist fast nie in seinem Büro anzutreffen. Er wird oft in Kiew gesehen, wo er ein Luxusappartement bewohnt. Zuletzt sorgte er für Spott, als er an der Straße nach Reni ein Zelt bezog, um die Arbeiten besser überwachen zu können.

Bleibt noch der Unterhaltungswert

Nick Holmov möchte nicht ganz so streng sein. Immerhin habe Saakaschwili einen gewissen Unterhaltungswert und es sei ihm gelungen, das Monopol der Fluglinie eines Oligarchen auf Inlandsflüge von Odessa zu brechen. Seither seien die Ticketpreise gesunken. Saakaschwili, so meint er, hätte viel mehr weiterbringen können, wenn er sich auf seine Arbeit konzentriert hätte, statt zu intrigieren. Sein Versuch, Neuwahlen vom Zaun zu brechen, um Premierminister zu werden, schlug fehl. Und auch der Plan, einen Vertrauensmann im Rathaus von Odessa zu installieren, scheiterte bei den Kommunalwahlen im vergangenen Herbst.

Bürgermeister Gennadi Truchanov ist ein Gegner und unternimmt wenig, um die Vorhaben des Gouverneurs zu fördern. Truchanov lehnte ein Interview ab. Der Grund, so eine Quelle aus dem Umfeld des Bürgermeisters: "die derzeitigen Spannungen zwischen dem Rathaus und dem Gouverneur".

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