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Federleichte Gebilde aus Perlen und Röhrchen

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In manchen Familien schlummert er noch in Schachteln mit der Aufschrift „Christbaumschmuck". Oft mit dem Zusatz: „Alt". Da und dort wird er vielleicht sogar noch alljährlich hervorgeholt. Aber wer ihn schätzt, tut ihm das nicht gern an. Auch entspricht er nicht mehr dem Geschmack der Zeit. Dabei war er funktional. Zog die Zweige nicht so herunter wie die rustikalen Christkinder, Engelchen und Weihnachtsmänner aus Holz. War zum Teil federleicht. Die Rede ist von dem aus Glasperlen und Glasröhrchen zusammengesetzten Christbaumschmuck. Und der ist etwas ganz anderes als die Glaskugeln und sonstigen, ebenfalls schon aus der Mode gekommenen geformten Glasgebilde späterer Jahrzehnte.

Ein Männchen, der Kopf eine weiße Perle, der Hals eine blaue Scheibehenperle („Radi"), der Rumpf eine wie ein quer durchgeschnittenes Ei geformte grüne Perle, räkelt sich auf einem Reck. Die Arme blaue Stän-gelchen, das Reck blaue Stängelchen und aufgereihte innenversilberte Perlen. Daneben ein stilisiertes gläsernes Ringelspiel mit allerlei Figürchen. Nur, wo mit solchen Erbstücken sehr sorgsam umgegangen wird, hat sich derartiger Christbaumschmuck erhalten. Das meiste davon ist längst zerfallen, verloren, kaum hörbar, weil so zart, zerbrochen.

Glasperlen-Christbaumschmuck ist Musterbeispiel einer anonymen Handwerkskunst. Die Halbfabrikate kamen von vielen Herstellern, die eigentliche Herstellung wohl Sache miserabel bezahlter Heimarbeiter und vor allem Heimarbeiterinnen. Mit dem Erscheinen eines wissenschaftlichen Werkes über Typologie, Herkunft, Datierung wurde der Glasperlen-Christbaumschmuck nun auch hochoffiziell zum Sammelobjekt - so daß zu hoffen ist, daß das noch vorhandene Alte mit der gebührenden Sorgfalt behandelt und bewahrt wird. Denn diese kleinen, lange Zeit kaum beachteten Objekte sind es wert. Als Nischenprodukt entstanden sie übrigens bis vor nicht allzulanger Zeit. Die Erfindung der Innenversilberung gab den Anstoß zu einer jahrzehntelangen Suche nach weiteren Innovationen. Erzeugte die Innenversilberung bei farblosen Hohlperlen einen Silbereffekt, so bewirkte sie bei gelbem Glas einen Goldton. Aber auch echte Innenvergoldungen waren gebräuchlich, dazu kamen die Innenrip-pungen, Teilrippungen (selten) und zahlreiche Varianten von gerade gerippt und einfach gedreht über gemusterte Wandungen bis hin zur mehrfach gedrehten Freihandperle, die von den Perlenbläsern eine heute längst verlorene Kunstfertigkeit forderte.

Die Hersteller des Glasperlen-Christbaumschmucks griffen die verschiedensten Motive auf: Automobile, Motorräder, Flugzeuge, die damals noch Aeroplane hießen. Das alles wurde aber, ebenso wie die Körbchen, Sterne oder Schmetterlinge, aus denselben innenversilberten oder bunten, kleinen oder großen, verschieden geformten Perlen sowie aus Stäbchen und Röhrchen zusammengebaut, so daß keine Stilbrüche entstanden. Mitunter wurden die Glas-Halbfertigfabrikate durch mit Glassplittern bestreute Papiersterne, Zierdraht, Watte und so fort.

Das Buch „Glasperlen-Christ-baumschmuck/Glass Bead Christmas Tree Ornaments" (es ist nämlich zweisprachig) stammt, fast darf man es wagen, zu sagen: selbstverständlich, von Waltraud Neuwirth. Die im Wiener Museum für Angewandte Kunst als Kustodin tätige Wissenschaftlerin ist längst zu einer Kultfigur der Wiener Glas-, Porzellan- und Keramik-Sammlerszene geworden, ihre im Selbstverlag publizierten Bücher werden weltweit von Sammlern zu Rate gezogen und sie half viele Streitfragen vom vielzitierten Annerlgelb der Biedermeiergläser bis zu den Echtheits- und Datierungskriterien der Herstellermarken von Porzellanherstellern zu klären.

Auch bei der Datierung und Herkunftsbestimmung von Glasperlen-Christbaumschmuck gibt es eine Fülle von Problemen. Das Buch bringt eine imposante Fülle von Anschauungsmaterial verschiedenster Herkunft aus Privatsammlungen, aus dem Technischen Museum in Wien, aus dem Gablonzer Glas- und Bijouteriemuseum und so weiter: Nicht nur Christbaumschmuck, sondern auch Musterkarten der Halbfabrikate, dazu kommen Beschreibungen der Herstellungsverfahren, erhaltene Listen von Lieferanten und so fort. Wen die Christbaumschmuck-Manie packt, der wird wohl auch auf das 1994 erschienene Neuwirth-Buch über das Ausgangsprodukt („Perlen aus Gablonz") zurückgreifen. Dabei ist aber Vorsicht geboten. Man kann sich nämlich auch mit der Perlentaschenmanie, mit der Glasperlenkettenmanie, mit der Millefiorimanie und noch manch anderer Manie anstecken.

Jeder andere aber wird sich einfach an den Christbaumschmuck-Abbildungen erfreuen. Sie nähren nostalgische Gefühle. Sie lassen an Arthur Schnitzlers Szene „Weihnachtseinkäufe" denken. Sie verströmen die versunkene Weihnachtsstimmung vergangener Jahrzehnte.

GLASPERLEN-CHRISTBAUMSCHMUCK

Selbstverlag Waltraud Neuwirth, Wien 1995. 320 Seiten, 167 Abbildungen in Farbe, 95 in Schwarzweiß, Ln, bis 51.12.1995 öS 640,, dann öS 950,-

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