Das Tier im Dschungel.jp - © Filmgarten

„Das Tier im Dschungel“ oder Die Schöne und der Schüchterne

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Kein „leichter“ Film, aber hohe Kinokunst des in Paris lebenden Wieners Patric Chiha.

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Kein „leichter“ Film, aber hohe Kinokunst des in Paris lebenden Wieners Patric Chiha.

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Man kann Patric Chiha, den in Paris lebenden Wiener, ganz gewiss als einen cinematografischen Meister der Leiber verstehen. Das ist spätestens seit „Brüder der Nacht“ (2016) klar, in dem er die Geschichte von bulgarischen Roma-Jünglingen in Wien erzählt, die sich zahlungskräftigen Herren verdingen: Nicht das soziale Elend dieses Settings interessierte Chiha, sondern die ungezwungene Körperlichkeit der jungen Männer – und an denen lässt er sein Publikum ausgiebig teilhaben. Ähnlich die Herangehensweise im zweiten Dokumentarfilm „Wenn es Liebe wäre – Si c’était de l’amour“ (2019), in dem Chiha eine Tanz-Compagnie begleitete: Wiederum kann sich die Kamera da an den Körpern nicht sattsehen.

Wenig verwunderlich, dass Chihas nunmehriger Spielfilm „Das Tier im Dschungel“ die Fortsetzung beschriebenen Körperkults im fiktionalen Genre darstellt: Es sind die Leiber der Tanzenden in einem Pariser Disco- bzw. Techno-Club, welche die Folie bilden, aus der die rätselhafte Begegnungsgeschichte von John und May spielt. Eine Geschichte, die überdies den Zeitraum von 25 Jahren – 1979 bis 2004 – umschließt.

Inspiriert ist „Das Tier im Dschungel“ von der gleichnamigen Novelle von Henry James von 1903, deren Plot transferiert Chiha ins dritte Viertel des 20. Jahrhunderts und nach Paris. Protagonist John und Protagonistin May treffen einander – zehn Jahre nach ihrer ersten Begegnung – zufällig in besagtem Pariser Club wieder. Neben den Körpern der Hundertschaft von Tanzenden, die Chiha in diesem Club filmt, gehören die Türsteherin und der Klomann (Monsieur Pipi) – in vertauschten Geschlechterrollen – zu den Konstanten des Clubs durch die Jahre.

Eine rätselhafte Beziehung

Der schüchterne John ist in seiner Persönlichkeit das Gegenteil von der extrovertierten May, die überdies einen Freund namens Pierre hat. John lässt May aber kaum an sich heran, sie treffen einander nur im Zusammenhang mit dem Club – und John scheint ein Geheimnis in sich zu tragen, erst wenn etwas Überraschendes geschieht, wird er sich gegenüber May aufmachen. Eine, gelinde gesagt, rätselhafte, wenn nicht gar toxische Beziehung.

Dies alles entwickelt sich über 25 Jahre hinweg, wobei die lebensfrohe May immer ähnlicher farblos zu werden scheint wie John. Die Zeitläufte werden durch visuelle oder gesprochene Informationen weitergetrieben – der Wahlsieg von François Mitterrand, das Aufkommen von Aids, die Anschläge von 9/11. Während die sich biegenden und dampfenden Körper der Tanzenden die visuelle Konstante der Bildsprache darstellen, gelingt Chiha aber mit der Licht- und Farbgebung sowie dem Soundtrack, die Metamorphose von Disco zu Techno im Kinosaal fühlbar zu machen. Das ändert nichts an der Rätselhaftigkeit der Beziehung zwischen John und May. Und mittendrin kann dann dem Zusehenden schon der Atem ausgehen und sich im unaufgelösten Rätsel verlieren.

Dennoch kann Chiha das „Tier im Dschungel“ als Parabel für das Lebensgefühl eines „Fadeouts“ durchhalten. Der Regisseur hatte auch ein erstklassiges Schauspielensemble zur Hand: Tom Mercier gelingt eine Bravourleistung als John, Anaïs Demoustier brilliert als May, und auch Béatrice Dalle als Türsteherin und Pedro Cabanas als Monsieur Pipi stehen dem wenig nach. – Kein „leichter“ Film, aber hohe Kinokunst. Folgerichtig, dass „Das Tier im Dschungel“ im März auch die diesjährige Diagonale eröffnen durfte.

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