Sickfuckpeople_05 - © Thimfilm

"Sickfuckpeople": Ein Kellerloch in Odessa …

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"Sickfuckpeople": Der preisgekrönte Dokumentarfilm des jungen Ukrainers Juri Rechinsky schildert soziale Tristesse in seiner Heimat -und verstört zu Recht.

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"Sickfuckpeople": Der preisgekrönte Dokumentarfilm des jungen Ukrainers Juri Rechinsky schildert soziale Tristesse in seiner Heimat -und verstört zu Recht.

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Bei der diesjährigen Viennale wurde "Sickfuckpeople“ der Wiener Filmpreis in der Sparte Dokumentarfilm verliehen. Beim Londoner Raindance Festival 2013, dem größten europäischen Filmwettbewerb für Independent-Filme, siegte Juri Rechinskys Opus ebenso als Bester Dokumentarfilm wie beim Filmfestival von Sarajewo. Alles kleine, aber feine Würdigungen für ein mitnehmendes, aber in jeder Hinsicht überzeugendes Zeitbild aus der Ukraine der Gegenwart.

Nachhaltiges Erlebnis zwingt zum Filmen

Er sei im ukrainischen Winter in ein "Kellerloch mit halbtoten Süchtigen“ geraten, berichtet Regisseur Juri Rechinsky, 27. Er habe dort "zugesehen, wie sie die Nadel immer und immer wieder in ihre Venen gestochen haben. Als der letzte fertig war, hat der erste wieder von neuem begonnen“. Das Erlebnis setzte sich nachhaltig im Kopf Rechinskys fest: "Ich wusste, dass ich keine andere Wahl hatte, als diese Menschen zu filmen.“

2011 drehte der junge Filmemacher dazu einen Kurzfilm, nun kommt "Sickfuckpeople“ als gleich betitelte Langfassung, produziert von der Wiener Novotny-Film, ins Kino. Eigentlich unerträgliche Kost, aber es geht einem wie dem Regisseur selber: Das hier Dargestellte muss gesehen werden, man hat keine andere Wahl, als diesen Menschen an der Grenze zur Selbstzerstörung wenigstens den Augenblick eines Films lang Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen.

Rechinsky begleitete seine jugendlichen Protagonisten von besagtem Kellerloch in der Schwarzmeerstadt Odessa aus über mehrere Jahre hinweg, er dokumentiert die wahrlich extremen Umstände ihres Erwachsenwerdens. Formal ist "Sickfuckpeople“ als ein filmisches Triptychon gestaltet.

Das erste Kapitel, "Kindheit“, setzt bei der schon beschriebenen Situation in einem Keller an. Die Jugendlichen versuchen den Winter zu überleben und an Nahrung sowie an Stoff zu kommen. Dabei geriert sich die Kamera wie ein unbeteiligter Beobachter, die Stadt und die Protagonisten werden schlichtweg "gezeigt“ und gegenienander geschnitten. Über die Gründe dieser sozialen Extremsituation weiß man nichts. Doch gerade der "nüchterne“ Blick lässt das Elend besonders dramatisch werden.

Im zweiten Kapitel "Mutter“ versucht einer der Jugendlichen der Tristesse in Odessa zu entfliehen: Er macht sich in sein Heimatdorf auf, um nach seiner Mutter zu suchen. Doch auch dort ist von der ersehnten Geborgenheit keine Spur. Die Dorfbewohner erweisen sich im Gegenteil als abweisend und misstrauisch, sie wollen mit dem Burschen und erst recht mit dem ihm begleitenden Filmteam nichts zu tun haben.

Der letzte Teil "Liebe“ spielt gleichfalls in einer ländlichen Gegend der Ukraine. Anna, auch sie ein Ex-Junkie, heiratet und erwartet ein Kind, das aber, so fürchtet ihre Umgebung, keine bessere Kindheit vor Augen hat wie ihre Mutter. Daher drängen Annas Schwestern zu einer Abtreibung …

Zustände, die leider nicht irreal sind

Das alles klingt nach Depression pur: "‚Sickfuckpeople‘ ist ein Hammer. Ein Jammerhammer. Ich bin von den Bildern noch ganz infiziert und krieg sie nicht aus meinem Kopf.“ Mit diesen Worten wird der Schauspieler Josef Bierbichler zitiert. Dieser Einschätzung ist nichts hinzuzufügen.

Bleibt nur die Frage, ob man sich Geschichten, wie die von "Sickfuckpeople“ erzählten, zumuten muss. Die Antwort lautet: Ja. Denn die weit ins Unerträgliche reichenden Lebensumstände, die hier gezeigt werden, sind leider nicht irreal.

Und die Ukraine ist zurzeit fast täglich Gegenstand der Berichterstattung. Die dabei thematisierten politischen Vorgänge passieren auf dem Hintergrund furchtbarer und unmenschlicher Zustände. Man muss "Sickfuckpeople“ dankbar sein, dies so drastisch aufzuzeigen.

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