"Underdog": Diese ungarische Rhapsodie
"Underdog": Der Film von Kornél Mundruczkó erzählt von einem Hundeaufstand mitten in Budapest. Eine Parabel, die es in sich hat.
"Underdog": Der Film von Kornél Mundruczkó erzählt von einem Hundeaufstand mitten in Budapest. Eine Parabel, die es in sich hat.
Franz Liszts "Ungarische Rhapsodie", dieser Schlager unter den Orchesterwerken des 19. Jahrhunderts, kann auch ganz ohne das Zigeuner- - pardon: Roma-Blut, auf das sich das Ungarherz bis heute folkloristisch beruft, musiziert werden. Zumindest in jenem Musikschulorchester, in dem die 13-jährige Lili Trompete spielt, und das ein herzloser Dirigent, der die Stücke nur herunternudeln lässt, nicht nur künstlerisch drangsaliert.
Als Lili ihren geliebten Labrador-Mischling Hagen bei einer Probe im Spind versteckt, nimmt das Unglück des Mädchens seinen Lauf: Der Dirgent verweist Lili zeitweilig des Orchesters, erst als Daniel, ihr Vater, sie zwingt, Hagen auszusetzen, darf Lili zurück zur Musik.
Ein verstörendes Stück Auseinandersetzung
Eine beklemmende, grandiose Parabel ist Kornél Mundruczó mit seinem Film "Underdog" gelungen -in Cannes wurde der Film heuer gefeiert und mit dem "Un certain regard"-Preis, der Auszeichnung für Arthausfilme, prämiert. Ein ebenso verstörendes Stück Auseinandersetzung mit dem Ungarn, in dem Viktor Orbán regiert, und wo die Umtriebe der rechtsextremen Jobbik-Partei alltäglich sind, wie ein Beispiel für Filmkunst, die das Zeug hat, auch die unwirtlichen Zeitläufte zu überdauern. Und nichts weniger als eine Dystopie, eine Fantasie, was denn wäre, wenn die Ausgegrenzten, die von der Gesellschaft Ausgesetzten die Macht übernähmen, indem sie sich für das rächen, was ihnen angetan wurde. Die scheinbar irgendwie funktionierende Gesellschaft, erzählt diese Parabel, weiß sich gegen die unbändige und ungebändigte Gefahr nicht zu wehren.
Lili, die menschliche Protagonistin und das gute Gesicht der so morbiden Gesellschaft, lebt an und für sich bei ihrer Mutter. Doch als sich diese mit ihrem neuen Gefährten auf einen mehrmonatige Auslandsreise begibt, muss Lili zu ihrem Vater Daniel ziehen. Und der ist schon durch die bloße Tatsache irritiert, dass die Tochter ihren geliebten Hund Hagen mitnimmt. Weil in Ungarn, einem Land der Straßenköter, für Mischlinge eine eigene Steuer zu bezahlen ist, tut Daniel alles, um das Tier loszuwerden. Reinrassigkeit, so die Botschaft der Geschichte ist bis auf die Ebene der Hund gefragt.
"Underdog" erzählt die Geschichte der Trennung von Lili und Hagen - und was mit dem Hund passiert: Ausgesetzte Tiere werden von Hundefängern eingefangen, kommen in Tierheime, die jeder Beschreibung spotten, werden von Kriminellen zu Kampfhunden umerzogen, auf dass sie Geld bringen. Dass aus dem lammfrommen Hagen auf diese Weise eine zähnefletschende Kreatur wird, verwundert kaum.
Hunde, wollt ihr endlich aufstehen!
Doch das Ungemach fällt auf die Quäler zurück. Irgendwie streifen die geschundenen Wesen ihre Ohnmacht ab. Und Hagen, der Hund, ja die Hunde von Budapest übernehmen die Macht. Ein gespenstisches Szenario entwickelt sich immer weiter: Hundemeuten durchstreifen die leeren Straßen der Stadt - Gnade Gott, wenn sie auf Menschen treffen. Unvorbereitet ist diese Gesellschaft, sie kann es nicht fassen, dass sie von den Underdogs im Wortsinn in die Zange genommen wird -ohne dass sie weiß, wie sie der entfesselten (Tier-)Gewalt Herr wird.
In diesem Sodom und Gomorra fallen aber doch nicht alle dem Untergang durch die geheimnisvolle Hundemeute anheim. Ja, da ist noch Lili, die verletzte Unschuld, die - trotz allem Kampf auf Leben und Tod - sich die verletzliche Seele bewahrt hat. Mag sein, dass in dieser Gesellschaft der Mensch dem Menschen ein Wolf ist und dann die Hunde den Menschen zu Wölfen werden - Berechtigung hat der kanine Aufstand allemal.
Kornél Mundruczó versteht seinen Film als Kritik an Ungarn, in dem eine kleine Schicht über eine große Masse herrscht. Aber für den Regisseur weist er weit darüber hinaus: "Das trifft in wachsendem Maße auch auf Europa zu. Eine kleine, elitäre Gruppe beansprucht ihr Recht auf die Macht, während sich die Politiker als Stars gerieren, die wir wie in einer Reality-Show wählen und abwählen. Das sind gefährliche Tendenzen, und wenn wir nicht aufpassen, werden sich die Massen eines Tages gegen ihre Meister erheben." In Europa gehe zurzeit die Angst um, dass sich die Massen auflehnen: "Ich habe nach ikonischen Bildern gesucht, die das vermitteln, damit wir sehen, wohin es führt, wenn wir uns nicht in die Position einer anderen Spezies hineinversetzen, des Gegners, der Minderheit."
Kornél Mundruczkó ist dies meisterhaft verstörend gelungen. Auch die handwerkliche Herausforderung, ohne Computeranimation mit 250 Hunden so zu arbeiten, dass deren "Machtübernahme" authentisch wirkt, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Und die Besetzung der Rolle der Lili mit der jungen Schauspielerin Zsófia Psotta trägt ein Übriges dazu bei, dass "Underdog" einen wirklichen cineastischen Meilenstein darstellt.
Der Film hält eine Zeitdiagnose bereit, die überdies im Licht der Ereignisse um die Flüchtlingswelle der letzten Tage noch eine beklemmende Aktualität erhält. Es ist ein geeigneter Zeitpunkt, gerade jetzt genau in diesen Film zu gehen.
Underdog (Fehér Isten)
H 2014.
Regie: Kornél Mundruczkó.
Mit Zsófia Psotta, Luke und Body (Hunde).
Thimfilm. 121 Min.
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