Angst vor Liebe

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Urs Faes' Roman "Paarbildung": Krankengeschichte und Liebesroman.

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Urs Faes' Roman "Paarbildung": Krankengeschichte und Liebesroman.

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Es gibt Themen, mit denen sich die Literatur erstaunlich selten beschäftigt, vielleicht, weil sie ihr zu alltäglich anmuten, vielleicht aber auch, weil sie in jene Tabubereiche fallen, denen sich selbst die Schriftsteller ungern zuwenden. Krebs ist so ein Thema - die unausgesprochene Annahme dürfte sein, dass niemand gern von einer Krankheit liest, die sie oder ihn selbst jederzeit befallen kann und von der man nicht genau weiß, woher sie kommt und wie sie zu heilen ist.

Sicher würde man dem neuen Roman des Schweizer Autors Urs Faes aber nicht gerecht, wenn man ihn nur aus der Perspektive auf diese Krankheit liest und ihn Menschen empfiehlt, die selbst betroffen sind. Das kann man durchaus tun, denn Faes schildert in "Paarbildung" eine Krankengeschichte in allen ihren Facetten und mit eindrucksvoller Zurückhaltung in der besten Tradition Schweizer Erzählliteratur, man denke beispielsweise an Max Frisch oder Peter Bichsel - das Wesentliche wird selten direkt ausgesprochen, sondern vor allem angedeutet, und der erfolgreiche Behandlungsverlauf verspricht Hoffnung.

Der doppeldeutige Titel, der einen Begriff aus der Krebs diagnose aufgreift, weist aber bereits deutlich darauf hin, dass es sich auch um einen Liebesroman handelt. Anders gesagt: Die Fallgeschichte einer Krebserkrankung wird mit einer Liebesgeschichte verknüpft.

Herbst des Lebens

Der Unfallpsychologe Andreas Lüscher, um die 50 Jahre alt, absolviert ein Probejahr als Gesprächstherapeut in der Onkologie, als seine einige Jahre jüngere Jugendliebe Meret Etter dort behandelt wird, sie hat Brustkrebs. Vor allem aus der Perspektive von Andreas wird nicht nur der Verlauf der Therapie und der vorsichtigen Kontaktaufnahme der beiden geschildert, sondern auch ihr vorheriges Beziehungsleben wieder aufgerollt. Es war stark beeinflusst von den spezifisch schweizerischen Nachwirkungen der Studentenrevolution, wobei Faes hier Familiengeschichte und Zeitgeschichte, die fortschrittlichen Entwicklungen in der Stadt und das Rückständige des Landlebens kontrastierend miteinander verknüpft. Es zeigt sich, dass beide, Andreas und Meret, durch den Verlust von Familienmitgliedern und wichtigen Freunden geprägt sind. Der Roman lässt offen, ob sie mit dem schrittweisen Überwinden ihrer Furcht vor der Krankheit auch ihre Beziehungsangst abbauen können. Der Romanschluss zeigt die beiden auf einem Spaziergang durch eine wunderschöne, durch den Herbst geprägte Berglandschaft - womit natürlich überdeutlich auf den Herbst des Lebens hingewiesen wird, in dem sich die beiden ebenso befinden.

Das ist denn auch die einzige Kritik an diesem ebenso einfach wie kunstvoll gebauten Roman - er müsste nicht immer so konventionell sein, die Symbolik ist dafür nur ein Beispiel. Auch die Figurenkonzeption ist nicht bis ins Letzte überzeugend. Der reaktionären Rede des jungen Priesters, dass der tödliche Unfall von Merets Freundin Luzzi die gerechte Strafe für ihr studentenbewegtes Lotterleben gewesen sei, setzt der Roman wenig mehr als Trauer entgegen, der Verlauf des Lebens von Andreas und Meret scheint ihm eher recht zu geben.

Offenes Ende

Das offene Ende gibt keine Antwort auf die Frage, um die es in dem Roman vor allem geht: "Wie überspringt man die Jahre, dachte Lüscher, wie kehrt man noch einmal zu dem zurück, der man war, zu der Frau, die man liebte? Und für die man sich doch nie ganz entschieden hat?"

Paarbildung Roman von Urs Faes. Suhrkamp 2010.191 S., geb., € 20,40

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