Aromareigen in New York

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Lily Brett zeigt in ihrem Roman "Chuzpe", wie das Leben so laufen kann.

Man mag ihn längst, den schrulligen, liebenswürdigen, über achtzigjährigen Edek, der seine Tochter so oft vor den Kopf stößt und sie in seiner unbefangenen, sympathischen Art immer wieder das Leben neu lehrt.

Seit Jahren schreibt Lily Brett an dieser jüdischen Familiensaga, deren Figuren bereits vertraut sind und wohl auch deutlich eine biografische Marmorierung erkennen lassen. Bekannt ist, dass Bretts Eltern im Ghetto von Lodz heirateten und nach ihrer Befreiung aus Auschwitz nach Australien emigrierten. Fäden aus dem schrecklichen Lebensterrain ihrer Eltern zieht Brett als markante Linien durch ihre Bücher, unterfüttert mit der Reflexion über die Generation der Holocaust-Nachgeborenen, die sich in ihren Büchern weit mehr als die Opfer selbst - vor allem mit großer Emotionalität - gegen Verstummen und Vergessen stellen und um einen Modus des Weiterlebens mit der Geschichte ringen. Während in den anderen Bänden der Umgang mit der Vergangenheit oder das Thema Sexualität im Vordergrund stehen, belichtet Brett hier die Vater-Tochter-Beziehung von einer ganz anderen Seite.

Portion Selbstironie

Im Mittelpunkt steht Edeks Tochter Ruth, die es als Brief- und Kartenverfasserin zu relativem Wohlstand gebracht und ein typisches, aber gewissermaßen kapriziöses New Yorker Leben führt. Frauengruppen, Libidosorgen, vegetarische Kost, Essstörungen, Kamillentee als Sedativ, das ständige Augenmerk auf Gewicht und gesunde Ernährung. Ruth gehört zu jener Gruppe moderner Frauen, die ihr Leben zwar fest im Griff zu haben scheinen, gleichzeitig jedoch von zahlreichen neurotischen Zwängen geplagt werden und diese gerne einer eingehenden Reflexion unterziehen. Gerade diese Figurenzeichnung verrät auch eine gehörige Portion Selbstironie.

Ruth hat ihren Vater vor fünf Monaten nach New York geholt, wo er zunächst seiner Tochter zur Seite zu stehen versucht, obgleich er in ihren Augen nur Unordnung stiftet. Eine unerwartete Wendung nimmt das Geschehen, als plötzlich die beiden Polinnen Zofia und deren Freundin Walentyna mit ihren gewonnenen Greencards in New York auftauchen und Edek sein Leben selbst in die Hand nimmt. Indem Ruth ihren Vater unterstützt, unterstützt sie wider Willen die beiden polnischen Frauen.

Zofia ist das pralle Gegenteil zu Ruth und hat in New York Großes vor. Nicht nur, dass sie vor Vitalität und Selbstvertrauen strotzt, sie geht auch mit Entschlossenheit und Energie an die Eröffnung eines "Klopsladens". Allen Unkenrufen zum Trotz scheint ihr alles zu gelingen. Köstlichste Fleischklößchen wandern vom Tresen, ein Aromenreigen von Streifenbarsch bis Koriandergrün, gekocht in bunter Unterwäsche.

Bretts Roman greift tief ins Leben hinein. In ihrer Figur Ruth ballt sie eine Palette von Vorurteilen, die sich nur langsam auflösen. Denn diese Geschichte erzählt von Ruths emotionalen Tiefpunkten, von Fassungslosigkeit und Eifersucht, von Schock und staunender Ungläubigkeit. Erst sukzessive kann sie akzeptieren, dass ihr alter Vater noch einmal ein ganz neues Leben beginnt. Mit psychologischer Feinfühligkeit zeigt Brett die Schwierigkeiten der Tochter, den eigenen Vater noch einmal loszulassen und seine Entscheidung positiv zu sehen. Während ihr ganzes Umfeld, Kinder, Mann und Freundinnen, die Entwicklung um Edek gutheißt, fällt es ihr zunächst schwer, sich mit der neuen Situation zu arrangieren.

Bretts Buch ist amüsant und locker zu lesen, auch wenn man manches etwas straffen könnte. Eine ironisch humorvoll erzählte Komödie über das New Yorker Leben, über menschliche Schwächen und Leidenschaften - mit Klopsrezepten im Anhang!

Chuzpe

Roman von Lily Brett

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2006

333 Seiten, geb., € 20,40

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