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Wladimir Makanin zeichnet ein trostloses Bild der russischen Gesellschaft.

Wladimir Makanin ist ein russischer "Groß-Schriftsteller", der sich wie kein anderer auf das literarische Erbe seines Landes einlässt, tradierte Stoffe und Motive fortschreibt und selbst mehr und mehr zum Klassiker avanciert. Nach seinem vielfach ausgezeichneten Roman "Underground oder Ein Held unserer Zeit" liegen nun drei Erzählungen vor. "Der kaukasische Gefangene" heißt die Erste, die auch dem Band den Titel gibt, und an Puschkins Gedicht vom "Gefangenen im Kaukasus" erinnern will - solcherart einen Bogen spannend vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart des Tschetschenien-Kriegs.

Ort des Todes

Die russischen Soldaten Rubachin und Wowka finden zu Beginn der Erzählung einen von den Rebellen erschossenen Kameraden - "unglaublich schön" ist der Ort seines Todes, die ganze Landschaft, die Berge, überall diese Schönheit: "Sie ruft den Menschen. Erinnert ihn an sich." Die träge Gewalt des Krieges aber lässt sich von ihr nicht beeindrucken. Der Trupp der beiden Soldaten wird vor einem Engpass von Rebellen an der Weiterfahrt gehindert. Rubachin und Wowka machen einen Gefangenen, der ihnen in den Verhandlungen als Pfand dienen soll. Auch dieser "kaukasische Gefangene" ist unwirklich schön, verwirrt den alten Soldaten Rubachin, erweicht ihn. Doch nicht die Schönheit gibt dieser Welt das Gesetz. Rubachin wird den Jüngling töten und sein Trupp wird weiter stillstehen. "Die Berge. Das wievielte Jahr schon wühlte ihre stumme, feierliche Erhabenheit sein Herz auf, aber was wollte ihm ihre Schönheit eigentlich sagen? Was war ihr Appell?" Rubachin weiß keine Antwort. Indem Makanin die Zeitlosigkeit dieses Krieges, etwa durch das Weglassen von Jahreszahlen, betont, wirkt die Erzählung umso bitterer nach. Sein Rückgriff auf die Tradition - z. B. auf Tolstois ebenfalls im Kaukasus angesiedelte Kriegs-Erzählung "Hadschi Murat" - macht die Wiederkehr der immer gleichen Tragödie hoffnungslos deutlich.

Freiheit als Idee

"Der Buchstabe A" nennt sich die zweite Erzählung des Bandes, die den Übergang der Sowjetgesellschaft in die postkommunistische Ära anhand der Veränderungen in einem Straflager schildert. Freiheit bleibt so lange erstrebenswert, als sie eine Idee ist. Die Gefangenen beginnen mit ihrer Materialisierung: Wann immer sie können, stehlen sie sich davon, um in einen Felsen den Buchstaben A zu meißeln. Nach eineinhalb Jahren ist der Buchstabe vollendet, das ganze Wort allerdings, zu dem er hätte führen und das Ausdruck ihrer Freiheitsbehauptung hätte sein sollen, ist vergessen. Dafür kommt die Freiheit nun von außen. Die Wachen beginnen nachlässig zu werden, der Lagerkommandant verschwindet und der Vizekommandant wagt vor den Häftlingen eine Prophezeiung: ",Für Leute wie uns, die aufeinander eingespielt sind {...}, geht es den Bach runter. In gewissem Sinn werden wir alle im Lager bleiben. Hinter Stacheldraht. {...} Raus werden nur die Gefühle kriechen. {...} Rachsucht ... Eifersucht ... Habgier ...'" Je mehr Freiheiten die Gefangenen genießen, desto mehr müssen sie sich nun voreinander fürchten. Diebstahl und Mord stehen auf der Tagesordnung. Die endgültige Befreiung des Lagers ist ein Akt obszöner barbarischer Anarchie.

Liebe als Ware

Wer nun hofft, dass wenigstens im Lieben die Menschen Würde finden, wird sich vom Titel der dritten Erzählung, "Eine geglückte Liebesgeschichte", betrogen fühlen. Die unerwiderte Lebensliebe der ehemaligen Zensorin Larissa ist der Schriftsteller Tartassow. Die Wende hat sie beide kurzfristig arbeitslos gemacht. Nun frettet Tartassow, der keine Zeile mehr schreibt, sich mit einer Talkshow durchs Leben, in der er anderen die Frage stellt, die er sich selbst nicht beantworten will: ",Ging es Ihnen {...} früher schlechter - oder geht es Ihnen heute schlechter?'" Larissa hat sich als Bordellchefin selbstständig gemacht. Pech für Tartassow, der in der Vergangenheit die Liebe als Gabe nicht zu nehmen verstand und sie sich nun als Ware nicht mehr leisten kann.

Makanin ist ein großer Moralist, sein Schreiben ein Befinden und das Ergebnis ein ungemein trostloses Bild der gegenwärtigen russischen Gesellschaft.

Der kaukasische Gefangene

Von Wladimir Makanin. Aus dem Russ. von Annelore Nitschke. Luchterhand Literaturverlag, München 2005

238 Seiten, geb., e 20,50

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