Carolina Schutti.jpg - © Foto: Simon Rainer

Carolina Schutti: Nach "Meeresbrise" duften

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Carolina Schutti erzählt in ihrem brillanten Roman vom Leben zweier Schwestern, denen sich in der engen Welt ihres Dorfes durch die Entdeckung eines Kinderlexikons die große Welt eröffnet.

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Carolina Schutti erzählt in ihrem brillanten Roman vom Leben zweier Schwestern, denen sich in der engen Welt ihres Dorfes durch die Entdeckung eines Kinderlexikons die große Welt eröffnet.

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„Unsere Mutter ist die Einzige, die Hut trägt und Sonnenbrille. Einen schwarzen Hut mit breitem, wippendem Rand. Auf hohen Schuhen stöckelt sie durch das Dorf, und wir müssen ihnen folgen, Hand in Hand, in unseren rosaroten Kleidchen.“ Mit diesen knappen Sätzen skizziert Carolina Schutti am Beginn ihres Romans „Meeresbrise“ das Setting. Die beiden Mädchen bilden ein verschworenes „Wir“, aus der Perspektive der älteren Tochter wird vom Aufwachsen in einem Dorf erzählt. Mutter und Töchter sind Außenseiterinnen, nicht nur, weil sie anders gekleidet sind. Die Mutter geht wie eine „Königin“, und die beiden Töchter sind ihre „Prinzessinnen“. Väter gibt es keine, sie bestehen nur „aus Wörtern“. Der eine Vater, ein Maler, hat sich von der Brücke gestürzt, der andere hat der Mutter „in einem Hinterhof den Rock von der Hüfte gerissen und lebt auch nicht mehr."

Der große Schein

Die Bemühungen der Mutter, mit Märchen, Geschichten, Erklärungen und Lügen den Schein einer heilen Welt aufrechtzuerhalten und die Mädchen von der Außenwelt abzuschirmen, scheitern. Da hilft es nicht, dass sie beide „zu ihrer Sicherheit“ in der Wohnung einsperrt, wenn sie abends manchmal ausgeht. Dazu beschwört sie die Mädchen, dass sie ihr Ein und Alles sind, weil sie Angst hat, sie zu verlieren. Sie tut dies aber auch, weil sie weiß, dass die Dorfbewohner ihre eigenen Kinder vor den Mädchen warnen, dass sie von den anderen Kindern gemieden werden, als wären sie „giftig“. Sie sind nämlich „furchtlose kleine Hurenmonster“, die bisweilen nicht nur Kaugummis stehlen.

Wie alle Kinder haben die beiden Mädchen viel Fantasie und schaffen es, sich auf dem Teppich und in ihren Betten eine Welt zuerschaffen, und bisweilen toben sie sich im Wald aus. Während die Mutter das Geld der Sozialhilfe im Abstellraum der Wohnung mit Telefonsex aufbessert, müssen die Mädchen still sein. Sie lauschen und hören sie seufzen, können sich aber nicht erklären, welche Arbeit das sein soll. Siemüssen sich bei Bekleidung und Essen mit Secondhandkleidung, Fisch aus der Konserve, Semmeln und Nudeln mit Butter abfinden.

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