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Da muß doch wo a Nest sein ...

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Wenn du durch Wien gehst und dir ein Trupp Touristen entgegenkommt, hörst du bestimmt irgendwen murmeln, „da muß a Nest sein”: Ein liebenswürdiger „Stehsatz”, den auch ich hin und wieder hersage. Zum letzten Mal -ich glaube so vor zwei Monaten -, als ich Hall in Tirol, Absam und den Gnadenwald unter dem Bettelwurf bei Innsbruck durchstreifte. Ich absolvierte einen Vortragsabend bei der christlich-jüdischen Vereinigung und freute mich, Bischof Stecher in der ersten Beihe sitzen zu sehen. Der zarte Mann ist ein großer Mensch und mutig wie jener David, der den schlaksigen Goliath in Schwierigkeiten brachte.

Tags darauf also ein Ausflug in die Jugendtage, die ich dort im Tirolischen bei meiner Großmutter verbringen durfte. Innsbruck, Andreas-Hofer-Gasse - Hellensteiner Haus mit Blick zur Schmerlinger Alm, wie das Gefängnis im Leutemund hieß. Hall,

Absam, die Pernes, die Wanda, die ich mit sechs Jahren kennen- und mit 19 liebenlernte. Tramway von Innsbruck nach Hall, vis ä vis die Endstation, die Konditorei (wie hat sie geheißen?), wo es die besten Mandelbögen der Erde gab, der Münzturm... und jetzt? Freund Grünmandel haust dort, ohne mit seiner schrulligen Art Aufsehen zu erregen. Absam, wo der EU-Kommissar Fischler wohnt, wenn er nicht in Brüssel sein muß und wo 1910 der große Max Weiler den ersten Atemzug tat. Der Weiler ist der, den ich von allen Malern am besten verstehe, der mich mit seinen Bildern gefangennimmt und froh macht. Farbe, Licht, Strahlen - so mag ich's. Ich sehe in seinen Arbeiten die Sonne hinter den Bergen verschwinden und gleich wieder im Osten aufgehen. Die Berge leuchten, der Bettelwurf glänzt, die Martinswand verglimmt. Fischler, Weiler, Grünmandel, da muß doch wo ein Nest sein. Irgendwo zwischen dem Gnadenwald, wo sie jetzt mit ihren Paragleitern ins Abenteuer hupfen, und der Jägerkaserne, die in meiner Erinnerung immer eine große Bolle spielte.

Den Blutsommer 1927 habe ich dort verbracht, meine Mutter hat auf der Hauptpost in Innsbruck viereinhalb Stunden auf ein amts vermitteltes Telefongespräch nach Wien gewartet. Über die Bahlstiege fließt Blut, hat mein Vater ins Telefon geschrien. In Absam erfuhr ich am 25. Juli 1934 von der Ermordung Engelbert Dollfuß', den sie im Kanzleramt ohne Sterbesakramente haben verbluten lassen. Tagelang haben mir die Schlutzkrapfen nicht geschmeckt. Die Fahnen waren auf Halbmast. Mussolini hat am Brenner Truppen massiert - später war er seinen österreichischen Bundesgenossen weniger treu und bekam vom Gewalthaber in Berlin zum Dank dafür das „deutsche” Südtirol geschenkt. Absam, Hall, Innsbruck, in dieser Gegend gehe ich herum, fliege ich wie ein Chagall-Figürchen, wenn ich Max Weilers Bilder sehe. Ein schönes Gefühl, so zwischen Anfang und Ende zu schweben.

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