Der Nekronaut Im Ätherraum

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TOM MCCARTHYS NEUER ROMAN: VIELSCHICHTIG, KOMPLEX, FASZINIEREND.

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TOM MCCARTHYS NEUER ROMAN: VIELSCHICHTIG, KOMPLEX, FASZINIEREND.

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Manchmal lohnt sich die Unart, Bücher von hinten zu beginnen; so etwa im Falle von Tom McCarthys Roman "K" (im Original "C"). Denn im Nachwort führt der kongeniale Übersetzer Bernhard Robben gleich in die Tiefenschichten dieses in seiner Komplexität faszinierenden Romans: "Die erste Schicht bietet dem Leser einen nahezu klassisch anmutenden Bildungsroman. Eine tiefer gelegte Schicht verknüpft Bilder zu einem Echoraum [ ]. Eine weitere Schicht führt auf die Wortebene."

Die Schwierigkeiten beginnen schon beim Titel, denn der Buchstabe "C" eröffnet ein ganzes Bedeutungsspektrum, beginnend beim chemischen Element C für Kohlenstoff über eine ganze Fülle an C-Worten bis hin zu Homonymen wie "sea". Dass sich ein solches Konstruktionsprinzip nicht verlustfrei in eine andere Sprache transferieren lässt, liegt auf der Hand, umsomehr sich dahinter weit mehr verbirgt als oulipistische Spielerei. Gerade die forcierte Verwendung von ähnlich klingenden Worten, das Verhören und Versprechen führen zu einem psychologischen Verständnis von Etymologie, wonach der Gleichklang immer auch eine tiefer liegende Wahrheit offenbart. McCarthy nimmt diese von Joyce exemplarisch ausgelotete Technik dankbar auf, wenn er seine Protagonisten etwa im Spannungsdreieck Inzest -Insekt - Inkset (Tintenkasten) positioniert.

Aber das muss man alles gar nicht wissen, genauso wenig wie man der Überfülle an literarischen Verweisen und Zitaten nachgehen muss (noch kann). Das intertextuelle Spiel ist auf jeden Fall geeignet, den Ehrgeiz des Lesers zu wecken, gerade weil man sich in dieser unendlichen Bibliothek gelegentlich auch vergaloppiert. Auf der ersten, fiktionalen Leseebene erzählt Tom McCarthy in vier Teilen das kurze, aber intensive Leben des Serge C/Karrefax, der wie David Copperfield mit einer Glückshaube ("caul") geboren wird, wenngleich anders als jener in privilegierten Verhältnissen auf einem südenglischen Landsitz im Jahr 1898.

Das Familienleben verläuft chaotisch: Die gehörlose Mutter ist ganz mit ihrer Seidenraupenzucht beschäftigt. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Affinität zu Drogen bleibt sie eine ephemere Erscheinung.

Autounfälle, Flugzeugabstürze

Der Vater hingegen ist exzentrischer Erfinder, Funkpionier und innovativer Leiter einer Schule für Gehörlose. Serge und seine ältere, ihm intellektuell weit überlegene Schwester Sophie scheinen den Forschergeist des Vaters geerbt zu haben und es bringt die Eltern befremdlicherweise nicht aus der Fassung, als Sophie bei einem Experiment sich und ihren Bruder beinahe tötet und später zu Forschungszwecken sogar den Hauskater vergiftet.

Dazu ist es erhellend zu wissen, dass McCarthy in der Psychologisierung der Geschwister entscheidende Details aus der Biografie von Freuds berühmten "Wolfsmann" entlehnt hat. Hier schon finden sich die Pathologisierung der Schwester sowie der inzestuöse Grundkonflikt. Der entscheidende Knackpunkt ist schließlich Sophies Selbstmord. Eine melancholische Irritation vergeht, doch prägen fehlende Empathiefähigkeit, Grenzgängertum und eine todesorientierte Libido Serges weiteres Leben, das scheinbar tatsächlich unter besonderem Schutz zu stehen scheint; so können ihm weder Autounfälle noch Flugzeugabstürze im Krieg etwas anhaben. Auch von anderen Unbilden des Lebens bleibt Serge dank einflussreicher Mentoren verschont ...

Der Nukleus des Romans mag vielleicht in folgender Episode am treffendsten beschrieben sein. Als Serge und Sophie einmal in den Schallarchiven ihres Vaters stöbern, fällt ihnen die Aufzeichnung eines bereits verstorbenen Schülers in die Hände, dessen Stimme Calibans Rede aus dem "Sturm" rezitiert: "... Mir klimpern manchmal /Viel tausend helle Instrument' im Ohr, / Und manchmal Stimmen, die mich, wenn ich auch / Nach langem Schlaf erst aufgewacht, / Zum Schlafen wieder bringen ..." In diesen akustischen Parallelwelten des Ätherraumes ist der Amateurfunker Serge zuhause, hier gibt es keine Grenzen, auch nicht die zum Tod, der, Shakespeare paraphrasierend, unser kleines Leben wie ein Schlaf umringt. Großartig!

K Roman von Tom McCarthy Übers. von Bernhard Robben DVA 2012 480 S., geb., € 25,70

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