7084160-1994_09_24.jpg
Digital In Arbeit

Dressman wider Willen

19451960198020002020

„Wie angegossen" lispelt die Verkaufssüße. „Ich finde: wie ausgegossen", schnappt die Haussüße.

19451960198020002020

„Wie angegossen" lispelt die Verkaufssüße. „Ich finde: wie ausgegossen", schnappt die Haussüße.

Werbung
Werbung
Werbung

So kannst du unmöglich zum Festakt!" Sie steht mit zusammengekniffenen Lippen im Ehegemach neben dem Ankleidespiegel, der sein Bemühen, Hosen-und Sakkoknöpfe in die dafür vorgesehenen .Öffnungen zu zwingen, gnadenlos wiedergibt.

„Wir müssen einen Anzug kaufen." „Die paar Deka zuviel krieg ich mit dem Hometrainer in einer Woche spielend weg", versucht er zu entrinnen. „Das kennen Wir!" öhje, der Majestätsplural läßt nichts Gutes ahnen.

Mit Brachialgewalt unternimmt er den letzten Versuch, seiner Süßen einen schlüssigen Beweis gegen die angedrohte Einkaufstortur zu liefern. Doch trotz des krampfhaft eingezogenen Gössermuskels reißt der oberste Knopf Die liebenden Arme in die Hüften gestemmt, befiehlt sie nur knapp: „Wir gehen!"

Zielbewußt steuert sie im Kaufhaus die Herrenabteilung an, das Objekt ihrer Energie wie eine Fregatte das Beiboot im Schlepptau.

Der kritische Blick der Verkäufe rin taxiert, welcher Größe er zuzuordnen sei. Aus dem angeschleppten Sortiment trifft seine Süße eine Vorauswahl. „Am besten war’s, Sie schlüpfen …" Mein Gott, wie er das haßt!

Aber schon schieben sie ihn in eine dieser Kabinen und ziehen energisch den Vorhang zu. Sakko aus, Schuhe aus, aus der Hose schlängeln. Sich vorsichtig in die Hose des neuen Modells vorfüßeln. Nach ungewohnten Verschlüssen tasten. Er hat den Hemdzipfel noch nicht zur Gän-, ze in den Bund gestopft, wird der Vorhang wieder aufgerissen. Seine Süße und die gleichfalls süße Verkaufsfee mustern ihn mit schiefgelegten Köpfen, während er verlegen dem Schlitzzipp beizukommen sucht.

„Wie angegossen! Wie fühlen Sie sich?" lispelt die Verkaufssüße. „Ich finde: wie ausgegossen", schnappt die Haussüße. „Sehen Sie denn nicht, daß es überall quillt?!"

Da steht er, der Taxierte, mit leicht abgespreizten Armen, bemüht, sich durch Schulterzupfen und spiralige Drehungen der ungewohnten Schale anzupassen. Die Frage nach seinem Befinden empfindet er als Frotzelei. Zu antworten getraut er sich nicht. Jetzt drängen die beiden auch noch in die enge Kabine und versuchen durch Ziehen und Zerren den Sitz zu verbessern. „Unmög-hch!" bestimmt die Angetraute, die Verkaufssüße verweist auf die noch wartenden Modelle und wieder rutscht der Vorhang zu.

Das Spektakel wiederholt sich noch zweimal. Auch der unfreiwillige Öhrkontakt zu einem Opfer in der Nachbarkabine, wo sich hörbar dieselbe Tragödie abspielt, vermag den Dressman wider Willen nicht zu trösten. Die Luft wird dicker, die Stimmung gereizter.

Nachdem er sich, schweißgebadet, aber dankbar, wieder in seine alten Klamotten hat fallenlassen dürfen, hißt seine süße Fregatte endlich die Segel. „Komm, die haben nichts. Wir schauen woanders."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung