Ein Mönch, ein Anwalt, ein Verrat

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Roland Löffler über Katharina Hackers Roman "Eine Art Liebe" und den Zusammenhang mit Saul Friedländers "Wenn die Erinnerung kommt".

Katharina Hacker gehört ohne Zweifel zu den größten Hoffnungen der deutschen Literatur. Fünf Bücher hat sie bereits geschrieben, die allesamt bei Suhrkamp erschienen sind, ein neuer Roman ist in Vorbereitung und ihr eigentlicher Erstling noch gar nicht veröffentlicht, weil ihr damalige Verleger Bankrott ging. Die nach Studien-und Wanderjahren in Freiburg und Jerusalem nun in Berlin lebende Autorin ging in ihrem vielleicht stärkstes Buch, "Eine Art Liebe" einem sensiblen Thema des deutschen Gedächtnisses, der christlich-jüdischen Geschichte, nach. Ein vor den Nazis fliehendes Paar weist den einzigen Sohn, Moshe, in eine Klosterschule in Frankreich ein und stimmt der Konversion zu. So hoffen die Eltern, ihr Kind zu retten, während sie selbst in die Schweiz fliehen wollen. Beide werden aber vor der Grenze gefasst und kommen in Auschwitz ums Leben. In der Schule freundet sich derweil Moshe mit dem gleichaltrigen Jean an. Moshe geht später nach Israel, wird Rechtsanwalt, aus Jean wird ein Trappist. In Jerusalem erzählt der manchmal ruppige Moshe seine Geschichte einer deutschen Studentin. Im Prozess des Erzählens seiner Lebensgeschichte wächst zwischen ihm und der neugierigen Sophie "Eine Art Liebe".

Schuldgefühle

Das gilt auch für den Mönch und Anwalt, die allerdings auch ein Verrat verbindet. Jean hatte nämlich als Kind seinem Vater, einem Vichy-treuen Polizisten, von der jüdischen Identität seines neuen Kameraden berichtet und fühlte sich deshalb Zeit seines Lebens am Tod von Moshes Eltern schuldig. Um die Wahrheit ans Licht zu bringen, zeigt Jean Jahrzehnte später seinem Freund in einer Kirche ein Altarbild mit einer Kain-und-Abel-Darstellung und sagt: "Das sind wir." Moshe lehnt die Parallele zum Brudermord ab: "Soweit ich weiß, habe ich niemanden erschlagen, und trotz aller Mühe, die man sich gegeben hat, bin ich auch nicht erschlagen worden." Die Freundschaft hört dennoch nicht auf. Lebensprägende Erinnerungen - ein Leitmotiv von Hackers Schreibens - verbinden sich mit (Ent)Täuschungen ...

Erinnerung

Inspiriert wurde Hacker durch das autobiografische Buch "Wenn die Erinnerung kommt" des israelischen Historikers Saul Friedländer, der als Zwangskonvertit in einer katholischen Schule überlebte, während seine Eltern Opfer der Shoa wurden. Wer beide Bücher gelesen hat, erkennt die intertextuellen Bezügen. Dennoch ist Hacker ein eigenständiger Wurf, eine Art korrespondierendes Buch über Genre-Grenzen hinweg gelungen. Zwar benötigt Friedländers beeindruckender Lebensrückblick keinen literarischen Zwilling, aber wenn man aus seiner Geschichte ein neues Buch entwickeln möchte, dann so wie es Hacker gemacht hat. Ihr ist ein moralischer Roman ohne moralischen Unterton gelungen, der den Kern des deutsch-jüdisch-französisch-katholischen Gedächtnisses berührt. Hacker bleibt aber nicht bei der Vergangenheit stehen, sondern schildert in den Gesprächen zwischen Moshe und Sophie auch aktuelle deutsch-israelische Beziehungen. So wird Vergangenheit gegenwärtig, aber auch so alltäglich, dass sie sich selbst wieder distanziert. Deshalb ist es kein Zufall, dass Hacker an einer zentralen Stelle den Rabbi Jissachar Bär zitiert: "Meine Lehre ist, kann man nicht drüber weg, muss man eben doch drüber weg" - am besten wohl im Wege des Erzählens.

Eine Art Liebe

Roman von Katharina Hacker

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005

265 Seiten, kart., e 9,30

Wenn die Erinnerung kommt

Von Saul Friedländer

C.H. Beck Verlag, München 1998

191 Seiten, kart., e 10,20

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