Es bleibt nur die Erinnerung

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Der Literaturnobelpreisträger Isaak Bashevis Singer verlebendigte in seinen Geschichten eine vernichtete Welt. Offiziell wäre er am 14. Juli 100 Jahre alt geworden.

Vom belletristischen Standpunkt aus ist der Zauberberg' gescheitert. Er ist schlecht gebaut und macht keine Freude. [...] Man kann von dem Werk sagen, dass der Professor zwar eine vorzügliche Operation durchgeführt hat, der Patient aber verstorben ist [...]" Wer hier so mutig über Thomas Manns "Zauberberg" urteilt, ist der junge Isaac Bashevis Singer, der das Werk ins Jiddische übersetzte. "In einem Roman", so entfaltet Singer sein eigenes Belletristik-Konzept weiter, "kann der Autor nicht frei reden, er muss einen Helden reden und handeln lassen. [...] Belletristik ist eine Schilderung menschlicher Charaktere, muss mit einem Thema verbunden sein und muss - Himmel, öffne dich! - ein Element der Unterhaltung umfassen." Dementsprechend verfasste der spätere Nobelpreisträger Singer seine Romane, in denen er den Wegen seiner literarischen Figuren unbeirrt folgte, und seine unzähligen Kurzgeschichten.

Falsches Datum

Am 14. Juli wird Singers 100. Geburtstag gefeiert. Vermutlich hat Izaak Hersz Zynger aber schon 1902 oder 1903 das Licht der Welt erblickt, im November - die Geburtsunterlagen sind verbrannt. Singer stellte erst spät das falsche Datum vorsichtig richtig, das auch in die amerikanischen Staatsbügerschaftspapiere gelangt war, die zu verlieren für ihn eine Katastrophe bedeutet hätte.

Die ersten Lebensstationen des Sohnes eines chassidischen Rabbi liegen in Polen, in Radzymin, dann in Warschau, wo er die schlimme Zeit des Ersten Weltkrieges erlebte, und in Bilgoraj, einem Schtetl im österreichisch besetzten Gebiet. Dann wieder in Warschau, wo er seine Rabbinerausbildung bald abbrach, später aber - seinem Bruder Israel Joshua folgend - erste Versuche unternahm, in der jiddischen Literaturszene Fuß zu fassen - als Bashevis, Sohn der Bathseba, wie er sich nannte.

In Warschau begannen seine "Frauengeschichten". Mehrere Affären mit Frauen gleichzeitig zu haben, charakterisierte den Autor zeitlebens, obwohl er 1940 in den USA heiratete und seine Ehe mit Alma bis zu seinem Tod dauerte. Treue aber war seine Sache nicht.

1933 ging der inzwischen als Schriftsteller anerkannte Bruder Israel Joshua als Redakteur des Forverts nach New York. Mit viel Mühe gelang es ihm, 1935 Isaac nachzuholen. Runya, die Mutter von Isaacs einzigem Sohn, reiste mit diesem hingegen nach Russland.

Alles, was Isaac in Polen vertraut war, die Kultur, die Sprache, war nun nichts mehr wert. Noch lange fühlte er sich in Amerika verloren. Mit Literaturkritiken, Feuilletons, Fortsetzungsromanen und Kurzgeschichten hielt er sich über Wasser. Sein Schreiben wurde von der Erfahrung gespeist, dass er als jiddischer Autor einer Gegenwart gegenüber stand, die er nicht mehr angemessen beschreiben konnte. "Dem jiddischen Autor, der von dort kommt, ist mit der Vernichtung von Jüdisch-Polen der Nährboden entzogen worden. Seine Gestalten sind tot. Ihre Sprache ist verstummt. Ihm bleibt nur die Erinnerung."

Mit Singers Heimat war eine ganze jiddische Welt verschwunden. Literatur blieb als Möglichkeit, die Tradition einer untergegangenen Kultur im Wort und somit am Leben zu halten - im Amerika des 20. Jahrhunderts. Und gerade weil die Menschen, um die es ging, die Sprache immer weniger benutzten, umso wichtiger war Singer das Schreiben in jiddischer Sprache. Breite Leserschaft erreichte er allerdings nur mit den amerikanischen Übersetzungen, an denen er selbst mitwirkte.

Der geradezu arbeitswütige Schriftsteller dürfte als Mensch alles andere als einfach gewesen sein. Das zeigen auch die Aussagen jener "Zeugen", die Stephen Tree für seine Singer-Biografie bemühte, in der er auch - ein heikles Unternehmen - vorsichtig aus Singers literarischen Texten biografische Daten zu lösen versucht. Als sparsam bis geizig, unheimlich selbstbezogen und völlig apolitisch wird Isaac Bashevis Singer da beschrieben. Mit Barbara Streisands Verfilmung seiner Geschichte "Yentl" war der - weil er an der Produktion nicht mitwirken durfte - beleidigte Star mehr als unzufrieden. Saul Bellow, der Singers "Gimpel, der Narr" bestens übersetzt hatte, bekam keine weiteren Aufträge, mit der Begründung: "Weil man dann vor lauter Bellow keinen Singer mehr wahrnimmt." Wie weitsichtig: Saul Bellow erhielt immerhin 1976 den Nobelpreis für Literatur - zwei Jahre später aber durfte sich auch Singer darüber freuen.

In der Laudatio anlässlich dieser Auszeichnung wurde darauf hingewiesen, dass in Singers Werken die Wirklichkeit "{...}durch Träume und Fantasie in die Sphäre des Übernatürlichen erhoben , wo nichts unmöglich und nichts sicher ist". Zu den realistischen Schilderungen der vergangenen polnisch-jüdischen Welt mischte Singer phantastische Elemente aus Mystizismus und Aberglauben. Erotik und Religion, Spannungen zwischen den Geschlechtern und zwischen religiöser Tradition und moderner Welt, das sind die Themen, die Singers Werke speisen.

Sein Verhältnis zu Gott beschrieb Singer in einem Interview, an das er selbst im Vorwort zu seinem Roman "Der Büßer" erinnerte. Obwohl er an Gott glaube, könne er seine Barmherzigkeit weder erkennen noch verherrlichen: "[...] ich würde, wenn ich vor dem Allmächtigen auf Streikposten stehen könnte, mein Schild mit der Aufschrift tragen: UNFAIR GEGENÜBER DEM LEBEN!"

Keine Rettung für immer

Dass es eine "Rettung für immer" gebe, das glaubt Joseph Shapiro, die von Singer kreierte Hauptperson des Romans "Der Büßer". Dieser Meinung war der Autor nicht. Isaac Bashevis Singer glaubte, so hielt er es zumindest in seinem Vorwort zu diesem äußerst zeitkritischen und frommen Roman fest, "dass Widerstandsgeist und Demut, Glaube und Zweifel, Verzweiflung und Hoffnung gleichzeitig in unserer Seele wohnen können".

Buchtipps:

Ein Bräutigam und zwei BräutE

Geschichten von Isaac Bashevis Singer Aus d. Amerikan. v. Sylvia List

Hanser Verlag, München 2004

214 Seiten, geb., e 18,40

Isaac Bashevis Singer

Von Stephen Tree

Deutscher Taschenbuch Verlag

München 2004

200 Seiten, kart., e 15,00

Weitere dtv-Neuausgaben:

Der Büsser

Roman von Isaac Bashevis Singer Dtsch. v. Gertrud Baruch

154 Seiten, kart., e 7,80

Die Gefilde des Himmels

Eine Geschichte von Baalschem Tow

Von Isaac Bashevis Singer

Dtsch. v. Hannelore Neves

121Seiten, kart., e 8,80

Leidenschaften

Geschichten aus der neuen und alten Welt. Von Isaac Bashevis Singer

Aus d. Engl. v. Ellen Otten

296 Seiten, kart., e 9,80

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