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Flucht in die Traumliige

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In der ,,Glasmenagerie“ sohuf Tennessee Williams zart und behut- sam die Tragodie einer enttauschten Madchenseele. In ,,Endstation Sehn- sucht" schuf er realistisch und uner- bittlich die Tragodie einer enttauschten Frauenseele. — 1945 bis 1947 entstanden, gait dieses Drama ein- mal als Musterbeispiel fiir den modernen psychologischen Realismus der Amerikaner, und zugleich als ein Stuck Kritik an Amerika, an der Auseinandersetzung zwischen vitaler Kraft und verfeinerter Kultur, die hier am Beispiel einer degenerierten Familie der franzdsischen Aristokra- tie und den brutalen genormten Massenmenschtypen der Einwande- rernachkommlinge entwickelt wird. Es ist die Tragodie vom Untergang der „guten alten Zeit“, symbolisiert in „Belle Reve", dem „Haus mit den weiBen Saulen", in dem Blanche und Stella noch geboren wurden. „Desire“ bedeutet im Amerikani- schen sowohl Sehnsucht wie Begierde, und „Desire“ heiBt auch im Original eine StraBenbahnlinie, die in die Slums von New Orleans fiihrt. Dort, in der briitenden, feuch- ten Hitze, welche die Menschen tra- ge und zugleich erregt macht, gerat die ehemalige Lehrerin Blanche Du Bois an Stanley Kowalski; Poesie, Geist und Grazie einer versunkenen Epoche stoBen sich am hemdsarmelig niichternen und platten Tatsachen- sinn ihres Schwagers, an seiner kegelnden, saufenden, im Suff sich priigelnden, pokerdreschenden Pri-

mitivitat nach beendetem Sechsstun- dentag. So sahen wir es vor Jahren im Akademietheater mit Kathe Gold als Blanche in der Regie von Berthold Viertel. Heute mutet uns dieses handfeste SeelenreiBertheater mit seiner faszinierenden Psychologic und szenischen Drastik doch mehr als der klinische Sonderfall der ar- men Blanche an, die nach der schockartigen Enttauschung in ihrer friihen Ehe und ihrem Abgleiten in eine Halbweltexistenz schlieBlich in der Endstation Irrenhaus landet.

Dietrich Haugk anszenierte das Stuck im Theater in der Josefstadt vom Atmospharischen her, stellte durch zweckmaBige Striche die harte Realitat vor die Poesie und erzielte mit einem vortreftlichen Ensemble eine sehenswerte Auffiihrung. Ursula Schult ist die ideale Verkorpe- rung der Blanche; hypersensibel, morbid, kokett, hetrausfordemd und altjungferlich geziert, flattert und geistert sie durch das Stuck, bis zur Entrucktheit in den Wahnsinn. Eine groBe schauspielerische Leistung. Sieghardt Rupp hat zwar nicht ganz die Breite fiir die vitale Natur des Kowalski, iiberzeugt aber in seiner Rolle. Ella Buchi wirkt als Stella mutterlich, einfach, triebhaft-hdrig und Alfred Bohm ist ein schwerblfi- tig freundlicher Mitch. Die im Stuck wichtigen Nebenflguren hatten Profil. Roman Weyls entwarf das suggestive Biihnenbild. Am SchluB: lan- ger, lebhafter Befall.

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