Jenseits der Historie

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Christof Hamann führt an den Kilimandscharo und erzählt vom Bergsteiger Leonhard Hagebucher. Aber in der Wirklichkeit des Romans "Usambara" ist alles etwas vertrackter.

Bergsteiger aufgepasst - in diesem Roman geht es darum, eine der legendären Erhebungen der Welt zu bezwingen. Wenn man Meyers Großes Taschenlexikon zu Rate zieht, dann erfährt man, dass der Kilimandscharo das höchste Bergmassiv Afrikas und vulkanischen Ursprungs ist. Die Spitze des (noch) vergletscherten Kibo reicht bis auf 5895 Meter. Auch wenn der Berg im heutigen Tansania liegt, die Erstbesteiger waren, neben dem einheimischen Führer, ein Deutscher und ein Österreicher, Hans Meyer und Ludwig Purtscheller. Und in Wikipedia kann man nachlesen: "Der von 1885 bis 1918 zum deutschen Schutzgebiet (Kolonie Deutsch-Ostafrika) gehörende Kilimandscharo war in dieser Zeit der höchste Berg und der einzige aktive Vulkan Deutschlands." Weiter heißt es: "Dieses Ereignis inspirierte Anton Profes zu seinem Schlager "Was macht der Maier am Himalaya?", Kilimandscharo' hätte sich nicht gereimt.

Eine ähnliche Frage wie Profes muss sich Christof Hamann auch gestellt haben, denn er hat einen Roman über die Bergbezwinger geschrieben. Historische Romane liegen im Trend, doch nimmt sich Hamann dichterische Freiheiten, die weit über das marktkonforme Maß hinausgehen. Er führt mit Leonhard Hagebucher eine weitere deutsche Erstbesteigerfigur ein, die, so will es die Legendenbildung in der Hagebucher'schen Familie, ihres Ruhms beraubt wurde. Sein Urenkel Fritz Binder schickt sich nach dem Tod der Mutter an, im Rahmen eines Benefiz-Laufs den Berg zu bezwingen und so der Legende zumindest den Stempel der Wahrscheinlichkeit aufzudrücken. Der Roman wechselt zwischen der Gegenwart Binders und den Erinnerungen des Urgroßvaters, so wie Binder sie erinnert.

Aus Roman entlehnt

Es wird aber noch vertrackter. Hagebucher ist, wie der Leser erst zum Schluss, in einem erläuternden Absatz über der Danksagung erfährt, eine aus Wilhelm Raabes Roman "Abu Telfan" von 1867 entlehnte Figur. Ihrer hatte sich bereits, und das steht nicht in der Erläuterung, Felicitas Hoppe in ihrem Band "Verbrecher und Versager. Fünf Porträts" von 2004 bedient. Wie Daniel Kehlmann und andere Vertreter des zeitgenössischen historischen Romans hatten sich Hoppe und Hamann in der Neuen Rundschau von 2007 für einen neuen, anderen Umgang mit historischen Stoffen ausgesprochen.

Groteske Züge

Eigentlich geht es in historischen Romanen gar nicht um die Historie, eigentlich geht es immer um die Gegenwart. Wie Hoppe ist auch Hamann - anders als der triviale, dafür auflagenstarke Mainstream - so ehrlich, seinen Lesern kein X für ein U vorzumachen, auch wenn er ein anderes erzählerisches Verfahren als Hoppe wählt. Die Vergangenheit entpuppt sich in seinem Roman als Belastung, als ein durch die deutsche Geschichte wie privates Versagen bedingter Familienfluch. Der Gärtnerssohn Hagebucher hatte das Usambaraveilchen entdeckt, doch ein anderer reklamierte die Entdeckung für sich. Schließlich ergärtnerte sich Hagebucher einen bescheidenen Wohlstand, indem er die importierte Pflanze in großem Stil anbaute und verkaufte.

Die Geschichte, die der Roman erzählt, hat groteske Züge, und doch könnte man sich fragen, ob die Realität nicht ebenso wahrscheinlich ist wie die Fiktion. An der sozialen Asymmetrie von Europäern und Afrikanern hat sich auch in der vom Roman porträtierten Gegenwart nichts geändert. Der Benefiz-Lauf entpuppt sich als wirtschaftliches Unternehmen und mediales Großereignis, das die Einheimischen einmal mehr kolonisiert und zu Gepäckträgern der Läufer degradiert. Die haben nur ihre Atemübungen im Kopf. Angefeuert werden sie von einem früheren deutschen Außenminister, der einmal ein Buch über den selbsttherapeutischen Wert des Laufens geschrieben hat und seine kurze Teilnahme per Hubschrauber höchst medienwirksam zu inszenieren weiß - eine wunderbare Fischer-Parodie, die hier so ganz nebenbei abläuft.

Grenzüberschreitungen

Es spricht für den Roman, dass er seinen Protagonisten und damit auch den Leser nicht so leicht davonkommen lässt wie den deutschen Außenminister. Aber was am Ende passiert, wird natürlich nicht verraten. Auch nicht, was aus der anrührenden Liebesgeschichte zwischen dem Postboten Fritz Binder und Camilla mit den schönen Füßen wird. Auch nicht, welche Pointe sich Hamann hat einfallen lassen, um das Problem einer erfundenen Bergbesteigerfigur im Rahmen einer realistischen Handlung zu lösen.

Mit "Seegfrörne" von 2001 hatte Hamann ein vielbeachtetes Debüt vorgelegt, der Erstling erforschte die Untiefen einer Gemeinde am Bodensee, aber nicht, ohne die gesamtdeutschen Befindlichkeiten fest im Blick zu behalten. "Fester" von 2003 führte den titelgebenden Protagonisten bereits nach Afrika und anderswohin. Es sind Grenzüberschreitungen, die den Autor interessieren, der über New York in der Literatur promoviert und ein anspruchsvolles Buch über "postkoloniale Konzepte in Theorie und Literatur" herausgegeben hat. Provinz und Welthaltigkeit schließen sich nicht aus, sie bedingen sich gegenseitig, im Guten wie im Bösen. Hamanns gar nicht kopflastiger, sondern wirklichkeitsgesättigter Roman regt an, darüber nachzudenken.

Usambara

Roman von Christof Hamann

Göttingen, Steidl-Verlag 2007,

259 Seiten, geb., € 18,50

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