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Kommt Zeit, kommt Bart

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Zu den Dingen, die Frauen (normalerweise) nicht haben können, gehört der Bart, der nach Ansicht der Firmen, die Produkte zu seiner Beseitigung produzieren, das Beste am Mann ist. In dieser Behauptung schwingt allerdings unterschwellige Geringschätzung, denn Männer haben, auch wenn sie in der Geschichte heute schlechter wegkommen als früher, doch auch Besseres hervorgebracht als Barte. Vielleicht hat der Bart deswegen Demonstrations-Charakter. Irgendwas Geschlechts-Spezifisches sollte ja doch sein!

In einer Wohlstandsgesellschaft, in der alles käuflich ist, ist der Bart nur sehr bedingt ein Konsumgut. Selbstverständlich führen Kostümleihanstalten und Maskenbildner ein entsprechendes Sortiment. Für einen kurzfristigen Auftritt als Kaiserjäger im Trachtenfestzug, als Statist in der Oper „Carmen” oder als Bankräuber gibt es passende Modelle.

Der Wunsch nach einem echt gesprossenen Bart, mit dem sich der Mann auch identifizieren und schmücken kann, ist daher so verständlich wie die Wiederkehr des Trends zum Gediegenen aus natürlichen Materialien. Doch vor dem Wunsch nach einer bestimmten Form des Bartes, ob nun keck auf der Oberlippe oder martialisch nach Großvater-Art, steht die Wachstums-Phase. Ein Bart braucht zur Entstehung Zeit und läßt sich dabei nicht beschleunigen-

Von den Seeräubern im Asphalt-Dschungel abgesehen, denen die abstoßende Igelhaftigkeit ihres Antlitzes in der Bartwuchs-Phase nichts ausmacht, sind die Männer mit Halb-Bart meistens sehr verschämt und innerlich verletzbar. Ein unrasierter Mann, der fortwährend erklären soll, daß er einen Bart erstrebt, ist ein gesellschaftliches Mißgeschick. Jeden Morgen sucht der prüfende Blick im Spiegel nach Millimetern fortschreitender Sprossung. Massagen mit Haarwuchs-Tinkturen, die sonst die

hartnäckigste Glatze zum Beatle-Haupt machen, helfen in der Begel kaum. Kommt Zeit, kommt Bart! Viele scheitern am Aufwand der Geduld. Mindestens drei Wochen lang gilt es, dem Griff nach Seifenpinsel oder Basierapparat zu widerstehen. Wer hält das aus, angesichts skeptischer weiblicher Kommentare, schadenfrohen Kindergelächters, schwankenden Selbstbewußtseins!

Aus diesen Gründen verlegen viele bartsüchtige Männer den Anwuchs in den Urlaub. Braungebrannt und vollbärtig aus südlichen Gefilden heimzukehren ist immerhin ein gewisser Erfolgsnachweis. Allerdings drohen selbst in der Ferne Schwierigkeiten, die schon manche halbgesprossenen Barte wieder zunichte gemacht haben. Durchhalte-Garantie bietet nur ein Urlaub, in dem der Bartwuchs nicht bloß als Nebensache hingenommen, sondern als hauptsächliches Urlaubsziel angepeilt wird.

Die Einrichtung von Bart-Camps bietet sich an. Männer mit Bartwunsch werden auf einer südlichen Insel drei Wochen kaserniert. Der militärische Verbal-Anstrich des Unternehmens ist nur eine raffinierte Tarnung. Im Bart-Camp geht es so recht männlich-gemütlich zu. Nicht etwa mit Trillerpfeife antreten zur morgendlichen Bart-Vermessung. Vielmehr empfangen eigens geschulte Psychologen die Gäste und stärken zunächst in gruppendynamischen Sitzungen die Bart-Motivation. Der Bart-Wunsch wird gewissermaßen verinnerlicht. Im Kreise Gleichgesinnter und frei von weiblichen und freundschaftlichen Einwänden gelingt das in der zwanglosen Camp-Atmosphäre viel leichter. Auch das gemeinsame Schicksal der Igel-Phase, in der es zu Identitätskrisen und depressiven Stimmungen kommen kann, wird leichter überwunden. Hier werden im Camp Animateurinnen eingesetzt, die die Stoppelbärte bewundern, die von traumhaften Erlebnissen mit Bart-Trägern erzählen et cetera.

Einen Tag vor der Abreise wird der Bart im Camp fassoniert und fotografiert. Bei Nichtgefallen kann der Bart auch kostenlos abrasiert werden. Eine Bückerstattung der Camp-Pauschale ist in diesem Falle nicht vorgesehen.

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