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Lebendiges und totes Liclit

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An Kerze und Neonröhre kann man erkennen, daß es lebendiges und totes Licht gibt. Alles an der Kerze lebt: ihre Goldflamme kämpft gegen das Dunkel und macht dieses erst sichtbar; sie kann flackern, sie kann rußen, sie kann anzünde- We kann AVachsttStfeii weinen. Die' Menschenphantasie spielt mit ihr und hat die Kerze in allen Formen und Farben geschaffen: weiße und rote, dicke und dünne, gebogene und gewundene, vergoldete und bemalte Kerzenl

Und wie lebendig ist auch die Entstehung so eines Wachslichtes: wieviel tausend Bienenbein-chen haben am Wachs gearbeitet, es modelliert, es mit Honig gefüllt. Ein ganzer Staat mit Arbeitern, Kriegern, Drohnen und Königin hat dazugehört, dieses Wachs zustande zu bringen, und dazu noch Millionen duftender Blumenkelche im Sonnenschein.....Es fliegt ein Tierchen durchs Gotteshaus und summt: Meine Kraft brennt!“, so lautet ein russisches Rätsel. Und ein englisches Kinderlied sagt: „Fräulein im weißen Kleid, mit einer roten Nase; je länger sie steht, um so kürzer ist sie gewachsen.“ Und wiederum im Russischen heißt es: „Er saß feierlich da wie eine brennende Kerze.“ Und so lebendig wie ihr Entstehen ist auch der Gebrauch der Kerze: da gibt es Lebenskerzen, Geburtstagskerzen, Taufkerzen und vor allem die Weihnachtskerzen, deren schwelende Dochte zusammen mit verbrannten Tannennadeln einen wunderbaren Duft geben.

Ja, bei brennenden Kerzen muß man das elektrische Licht auslöschen, denn nun fängt es an zu stören. Von allen Kirchen kennt die griechische Kirche den größten Kultus der Kerze. Ihr ist die Kerze Sinnbild der Andacht und des betenden Menschen — sogar das korrupte Stadtoberhaupt in Gogols „Revisor“ gelobt den Heiligen eine „zwanzigpfündige“ Kerze, wenn sie ihn nur aus der Gefahr retten.. Und im Deutschen gibt es ein Märchen vom „Gevatter Tod“, wo der große Arzt von seinem Gevatter in einen Raum geführt wird, darin viele, viele Kerzen brennen: immerfort löschen welche aus und flammen neue wieder auf. Da sagt ihm der Tod, daß das die Menschenleben sind... Und nun gewahrt der Arzt, daß seine eigene Kerze nur noch ein Stümpfchen ist.

Jemand, der gerade dieses Märchen gelesen hatte, wurde durch Zufall in eine Lampenprüf-stelle geführt: ein leerer Riesenraum, in welchem immerfort Lampen verlöschten und andere wieder aufflammten... Und es war diesem Menschen, als sei der Sensenmann mit seinem Sandglas fürchterlich in der Nähe. Ja, die Kerzen-

flamme ist etwas Lebendiges und also Symbolisches; etwas, das nicht nur sich selbst, sondern auch Gott und die Welt bedeutet. So ist der ganze Rembrandt in einem Kerzenschein enthalten. .:... t ii. is . . ! ((.

Das “Neonlicht • aber ist ein totes Licht. Es erinnert an die Lampions der Tief Seefische, womit diese die kleineren Fische anlocken, um sie zu verschlingen. Das Kerzenlicht macht die Dunkelheit erst sichtbar; das Neonlicht aber vertreibt alles Dunkel. Die Kerze ist „früh“ oder „spät“, das Neonlicht ist übernächtig. Die

Kerze blickt (und wie freundlich!), das Neonlicht stiert. Die Kerzenflamme ist golden wie die Sonne, denn sie kommt aus der Sonne, nämlich aus den Blumen; das Neonlicht aber ist kalkweiß und färbt uns zu Leichen um. Die Kerze brennt aus sich selbst und stirbt am eigenen Licht; die gasgefüllte Neonröhre leuchtet dank endlosen Drähten aus einem Generatorenwerk. (Darum haben wir stets eine Kerze in Reserve, falls die Elektrizität streiken sollte.) Und dabei liebe ich die Elektrizität: welch ein Meer von Licht erstrahlte durch sie in den dunkelsten Dörfern!

Doch das Neonlicht ist das billigste und nicht das beste elektrische Licht: es ist Symbol jener Aufklärung, die keine Geheimnisse duldet und nicht ahnt, wie gespenstisch sie in ihrer Liebernüchternheit wirkt. Das Neonlicht hat etwas Mitleidloses wie die Mittagssonne in den Tropen. Die Kerze ist geistig, das Neonlicht ist technisch. Dennoch ergeben „Geist und Technik“ keinen rechten Gegensatz, denn die Technik ist ja doch ein Derivat des Geistes; eher

schon könnten „Schöpfung und Technik“ einen Gegensatz bilden. „Mir ist es immer noch ein größeres Wunder, daß eine Fliege fliegt, als wenn ein Aeroplan es tut“, sagt Karl Kraus.

So ein moderner Spielsalon in der Großstadt, wo die Menschen, kalkweiß vom Neonlicht, nebeneinander vor den Apparaten stehen und dabei ratlos irgendwelche Sisyphuskurbeln bewegen — kann es ein einleuchtenderes Bild der Hölle geben? Und anderseits: ich besuchte neulich früh in der Dunkelheit den Gottesdienst — zwei einsame Wachskerzen brannten auf dem Altar und machten alles Gerät erschimmern. Diese Flammen regten die Phantasie an Vie ein Kaminfeuer, nur daß hier das Licht dazu auch noch „heilig“ war — aber im Gebetbuch konnte man bei ihrem kargen Scheine nicht lesen. Man hätte sich die Augen verdorben. Da strahlte plötzlich von oben ein Neonlicht auf. Nun war das Lesen leicht. Und seltsam, hier störte das Neonlicht gar nicht. Denn es war so weiß, daß das Gold der beiden Kerzenflammen ruhig golden blieb.

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