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Intermezzo bei Kerzenlicht

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Es war vor einigen Tagen. Ich knipste den Lichtschalter an, und es blieb dunkel. Vielleicht war irgendwo ein Leitungsschaden. Die Sicherungen waren jedenfalls nicht schuld, da ich die winzigen katzenaugengrünen Pünktchen alle unbeschädigt vorfand.

Draußen war es unterdes schon sehr dunkel geworden, die Dächer der gegenüberliegenden Häuser zeichneten sich nur noch als schwarze Blöcke mit scharfen Kanten gegen den schwarzblauen Dämmerungshimmel ab. Ich beugte mich zum Fenster hinaus, besah mir die menschenleere Gasse, auf die das Licht der nächsten Straßenlaterne einen kreisrunden Schein warf, den man aber doch nicht genau abgrenzen konnte. Kerzenschein ist ganz ähnlich, fiel mir dabei plötzlich ein, nur wärmer ist er, persönlicher. Und so beschloß ich, eine Kerze anzuzünden. Nicht so sehr, um Licht zu haben, sondern, um den Schein zu betrachten.

Nach kurzem Suchen fand ich eine Kerze, eine angebrannte weiße Christbaumkerze, zündete sie an, stellte sie mitten auf den Tisch und blickte in die Flamme, die sich kaum regte. Hie und da nur, wenn vom Fenster her ein leichter Hauch kam oder wenn ich zu nahe trat und atmete, schien sich die Flamme um ein Unmerkliches zu dehnen, wurde ein ganz klein wenig länger und schmäler. Möglicherweise war es auch nur eine Unregelmäßigkeit im Docht oder im Wachs, vielleicht auch eine Laune der Kerze. Wenn eine Kerze schon so viel Lebendiges und beinahe Persönliches an sich hat, warum sollte sie dann keine Launen haben, dachte ich und sah mir nochmals die Flamme an, die am untersten Rande von einem hauchdünnen Blau war, rund um den Docht in einem matten Grau leuchtete und erst darüber in silbrigem Weiß aufstrahlte.

Ich blickte im Zimmer umher: links an der Wand zeichnete sich ein mächtiger schwarzer Schatten ab, der sich mitunter um einige Millimeter verschob: das war eine schmale Porzellanvase, die schon außerhalb des engsten Leuchtkreises der Kerze stand. (Quer durch diesen magischen Kreis schnitt das Kabel der Tischlampe, die jetzt hilflos warten mußte, bis der Strom wieder kam.) Dann ging ich mit der Kerze spazieren — ganz vorsichtig — und stellte sie zunächst auf den Bücherschrank.

Dort hob die Kerze mit ihrem sanften Schein einen kleinen runden Ausschnitt auf dem Tapetenmuster aus dem umgabenden Halbdunkel hervor, und der ganze übrige Raum war nur matt beleuchtet. Wenn man nicht auf die Kerze sah, sondern nur das ungewisse Licht im Zimmer betrachtete, hätte man beinahe meinen können, es sei ganz früh am Morgen und in einigen Minuten werde die Sonne aufgehen. Nur war das Licht weicher und wärmer als die herbe Kühle des Zwielichtes vor Sonnenaufgang.

Dann trug ich die Kerze ein Stück weiter und stellte sie unter das geöffnete Fenster. Dort tanzte sie nervös und fiebernd umher, reckte sich einmal hoch auf und schien dann wieder in sich selbst zu kriechen und erlöschen zu wollen, um gleich darauf wieder einen wilden Tanz mit unregelmäßigen Sprüngen anzufangen. Und lautlos wie die Flamme tanzten die Schattenbilder an den Wänden mit, verzerrten sich, schoben sich ineinander, lösten sich wieder — wie die tanzende Flamme ihnen befahl. Schließlich trug ich die Kerze wieder auf den Tisch zurück und wollte darauf warten, daß sie niederbrannte und nach einem letzten steilen Aufzucken mit leichtem Zischen im flüssigen Wachs erstickte.

Aber schon nach einer knappen Minute meldete sich der Sparsamkeitssinn und machte der versunkenen Romantik klar, daß man Kerzen nicht sinnlos verbrennt, und so hielt ich rasch die Hände über die Flamme, als hätte ich die Kerze nur angezündet, um mich zu wärmen. Da leuchteten die Hände nun in mattem roten Schein auf und schienen halb durchsichtig, so daß ich gleichzeitig an eine Schmiedewerkstatt und an eine Röntgenaufnahme denken mußte. Dann zog ich die Hände langsam zurück und blies die Kerze aus. Sie beugte sich jäh zurück und erlosch. Ein leichter Geruch von verbranntem Wachs stieg auf und blieb einige Augenblicke in der Luft schweben.

Schlagartig war der Raum in nachtschwarzem Dunkel untergetaucht. Ich wandte mich langsam zur Tür, aber schloß, jäh geblendet, die Augen. Der elektrische Strom war plötzlich wieder da. Alles war wieder ganz so wie jeden Abend.

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