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Die Kerze

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Sepp war mit einem Gefangenentransport in Wien angekommen und sollte nun allein in sein Heimatdorf an der Donau weiterfahren, wo seine Mutter in der kleinen Keusche auf ihren Einzigen wartete. Sepp hatte nichts Militärisches mehr an sich. Er war von Beruf Roßknecht. Der Feldwebel hatte schon vor Jahren zu ihm gesagt: „Mondscheinlechner, aus Ihnen wird in hundert Jahren kein Soldat!“ Und weil Sepp in seiner Einfalt „Jawohl“ gestammelt hatte, war ihm das noch als Frechheit ausgelegt worden.

Die Leiden der Gefangenschaft hatten das Menschliche in ihm noch stärker zum Vorschein gebracht. Gewiß, noch trug er die Uniform, aber wie sah sie aus! Den viel zu weiten Mantel hatte er mit einem Strick zusammengebunden und sein Eßgeschirr, eine leere Konservendose, darangehängt. Statt der Mütze trug er einen Stumpen, aus dem einmal ein Damenhut hätte gemacht werden sollen, der jetzt aber den Sepp zur Karikatur eines Seefahrers machte. Sein Gesicht mit dem breiten Munde und der etwas herabhängenden Nase strahlte eine große Zufriedenheit aus. Es tat ihm wohl, wie die Frauen, junge und alte, ihm überall etwas zusteckten. Wenn sie ihn nach den Kameraden fragten, sagte er immer dasselbe: „Wart's nur, alle kuman hamf“ \

Sepp wunderte sich nicht über die zerstörten Häuser, er war es gewohnt, Zerstörung zu sehen, Wien erschien ihm noch immer als eine glanzvolle, herrliche Stadt.

Er wanderte nicht zum Vergnügen durch die Straßen, er hatte ein Anliegen. Als er vor Jahren ins Feld abgestellt werden sollte, hatte ihn seine Mutter beim Abschied in die Stephanskirche geführt und vor dem Muttergottesbild eine Kerze angesteckt. Damals hatte er ihr versprechen müssen, daß sein erster Weg bei der Heimkehr hierher wäre. „Da steckst a Kirzn auf, dann kimmst hoam!“

So wackelte Sepp durch die Stadt und wenn er einem Weiblein begegnete, das seiner Mutter ähnlich sah, fragte er, ob er so richtig zur Stephanskirche ginge? Dann stand er richtig davor. Wie hoch der Turm ist und fest steht er auch noch! Hinter zwei Arbeitern, die Sand trugen, trat er in die Kirche, ohne sich um das Verbot zu kümmern. Er ging drinnen umher und schüttelte einige Male mißbilligend 'den Kopf. Jetzt sah er erst, wie arg der Schaden war. Ganz verwirrt aber war er, als er den Platz leer fand, wo früher das Bild gehangen hatte. Was war da zu tun? Er ging in einen Winkel, setzte sich auf die Pfosten und überlegte. Kerze hatte er auch “hoch keine. Kerzelweiber gab es nicht mehr.

Daß es solche Schwiergkeiten am letzten Punkte seiner Heimkehr geben würde, hätte er nicht erwartet. Da kam ein untersetzter älterer Geistlicher vorbei. „Herr Hoch-würdn, is d' Muattagottes verbrennt?“ fragte ihn Sepp.

„Wieso?“

„Weils nimmer durt hängt!“

„Nein, wir haben sie bloß aufgehoben, später kommt sie wieder an ihren Platz.“

„Herr Hochwürdn, habens ka Kirzn?“

Sepp mußte mitgehen und bekam ein Stück Kerze. Zum Abschied hatte der Prälat gesagt: „Schauns nur, daß bald heimkommen und lassn's die Mutter schön grüßen“.

Sepp hielt die Kerze die ganze Zeit in der Manteltasche fest, während er herumging und wartete. Gegen abend schlich er wieder in den Dom, setzte sich in den Winkel und wartete. Die letzten Arbeiter gingen heim, das Tor wurde gesperrt und es wurde still in der gewaltigen Ruine. Er begann umherzugehen und alles zu betrachten, obwohl es schon dämmerte. Den größten Eindruck machte es auf ihn, als er plötzlich den freien Himmel über sich hatte und der Turm unendlich hoch über ihn emporstieg. Im überwölbten Kirchenschiff fühlte er sich wieder geborgen.

Es war bereits dunkel, als er zum Pfeiler ging, wo das Muttergottesbild früher gehangen hatte, seine Kerze anzündete und sie auf den Boden stellte. Der Lichtschein flackerte an den kolossalen Pfeilern und Wänden auf und nieder, der Soldat hatte sich auf einem Quader niedergelassen und sah immer auf das Licht. Einzelne Sätze und Bilder fielen ihm wirr durcheinander ein. „Mei Muatta hats derbett', daß i g'sund hamkuma bin.“

Dann sah er den gemütlichen Prälaten, wie er ihm die Kerze gegeben hatte. Und er dachte an den Feldwebel und Bilder von den Schlachtfeldern des Ostens liefen vor ihm ab, wie ein Film auf der Leinwand. Der endlose Vormarsch, die schrecklichen Kesselkämpfe, Winternächte, viele Tote. Er sah das Heimatdorf, die Keusche „ an der Donau, die Mutter. Dann ließ4 er den Kopf hängen und die Bilder setzten sich im Traum fort. Er riß sich ein paarmal hoch, und immer noch brannte die Kerze vor ihm wie ein Gebet.

Am nächsten Morgen fuhr er heim. Und wieder am nächsten Tage fuhr er schon aufs Feld ackern und er dachte, während er bedächtig die Furchen zog, an den Dom, der zwar eine Ruine war und in dem jetzt nur ein Lichtlein gebrannt hatte, das seine, des Heimkehrers.

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