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Versöhnung mit Alois

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Ich trug meinen Namen vorerst ohne Verhängnis und ohne Mißbehagen. Allein schon zu den ersten Gelegenhelten, die mich aus sorgsamer Umhütung auf die Straße führten, und mehr noch an den ersten Schultagen zeigte es sich, daß ich allein stand mit meinem Schild: „Lois hoaßt? Ha! Wos war denn dös für a Noma? I hoaß Fronz wia da Kaisa. Auf mein' To(g) geh man min Fohn in dö Kirchal“

Dies war eine stolze Rede. Sie forderte Ehrerbietung und ich kam mir armselig vor. Die Mutter verwies meine Klage und holte die höchste ihr bekannte Autorität zu Hilfe. Dies sei der Patron der Jugend, sagte sie, und darüber solle Ich mich freuen. Aber das Bild, das mir die Mutter zeigte, glitzerte seltsam grell, gewollt feierlich, und gab einen unfröhlichen Schein. Ein fremder Jüngling mit unnatürlich gefärbten Wangen kniete darauf, ein starres, zu Stein gebügeltes Ministrantengewand hatte er an und in mädchenhaften Händen hielt er eine Lilie. Ich war enttäuscht, denn mit solch lieblich-ziersamer Zeugenschaft durfte ich ganz gewiß nicht vor meine faustbehenden, altburschenhaften Kameraden treten. In der Schlußbetrachtung der Mutter: .Der Schutzpatron liebe vor allem die braven Kinderl“ vermutete ich Absicht und mögliche Folgen.

Bald kamen in der Sdrule Kaiser, Könige und andere rühmenswerte Männer an die Reihe, und es leuchtete in den Bänken über dieser oder jener Stirne zeichenhaft auf: „So wie ich!“ dachten sie sich, der Poldl, der Rudi, der Karl, der Sepp. Mir aber sprang kein jäher Schimmer zu und Woche um Woche erfuhr ich, daß ich unter lauter nachbarguten Brüdern einsam war.

Zum Uberfluß stiftete auch mein Vater Unheil. Obzwar von bündiger, fast scharfer Wesensart, hatte er die Gewohnheit, an uns Kindern die Koseform der i-En-dung anzuwenden. Dies gab in meinem Namen eine verfängliche Ubersteigerung gutväterlicher Obsorge und mir wurde heiß und kalt vor Scham, wenn ich ihn rufen hörte. Rundum blieben die Buben stehen und schrien es ihm in allen Stimmen nach, hoch und tief, kreischend, quiekend und voll narrendem Eifer. Ja, die Unbarmherzigen erfanden Neues dazu, schärften das s zu einem Doppellaut, und hatten im Handumdrehen den schönsten Spottnamen für mich: „Loissi!“ Sie lachten sich die Hälse voll.

Auch in der Bürgerschule war ich allein. Doch hatten wir einen Deutschlehrer, der sprach die Sätze voll Wohllaut und Beseelung, konnte Gedichte vortragen, wie wir dies bisher nicht gehört hatten, verhielt sich zu uns wie ein Kamerad und hieß — wie ich. Einmütig wurde beschlossen, ihm ein Namenstagsgeschenk darzubieten. Ein großer Kranz Blumen prangte auf dem Tisch, darin stand ein prächtig funkelndes Tintenzeug. An diesem Morgen hatte auch mich allgemeine Freundlichkeit gegrüßt, als ich eingetreten war, und an meiner Bank mußte ich vor Überraschung innehalten. Ein feuerrotes Herz aus gemalten Früchten glomm mir entgegen, daraus strahlte es buntfestlich: „Hoch Aloisl“ Daneben lagen dreiundzwanzig Kreuzer. Dies war der Stand der Klasse ohne mich. Als der gefeierte Fachlehrer meinen Arm nahm und mich seinen Namensvetter nannte, fühlte ich Schauer.

Das Seminar brachte Widersacher neuer Art. „Dies ist kein deutscher Name, dies ist Französisch oder Italienisch!“ Der Deutschprofessor mußte richten: Der Name, ursprünglich altdeutsches Sprachgut, habe sich auf die Wanderschaft begeben, und zwar — ganz richtig — nach Italien. Dort habe er die fremde, vokalreiche Färbung angenommen und sei später rückentlehnt worden. Ich war zufrieden. Die Gegner aber sagten, etwas sei eben doch daran.

Jetzt kannte ich schon Bücher und von vielen anderen hatte ich gehört. Unzählige Gestalten stiegen auf aus dem grenzenlosen Geheimnis geistiger Gewalt. Nicht eine erachtete meinen Namen für würdig, Träger ihrer Kühnheit, ihrer Erleuchtung oder ihres Leides zu sein. Unbrauchbar war er für Gleichnis und Gesetz. Da geriet mir das Mitgliedsverzeichnis der Tiroler Burschenvereine in die Hand. Jeder sechste, siebente hieß Alois. Meinen Großvater, nach dem ich getauft worden war, fühlte ich nahe, und alle Wesenheiten, daraus er kam. Wie hieß es in der verwahrten Urkunde? „Fünfzehnjährig zog er mit der Schwazer Standschützenkompanie an die Grenze und diente treu und ehrenhaft.“ Ich verstieß meine Unwissenheit in aufrichtige Reue.

Jedoch — alle diese Loisen waren Namenlose. In erneutem Kleinmut sprang ein erregender Zeitungsbericht: „Einer der begabtesten Redner des österreichischen Herrenhauses war Prinz Alois von Liechtenstein.“ Im Augenblick schätze ich: Liechtenstein? Dies war ein glanzvolles Fürstengeschlecht. Herrenhaus? Dies war seinerzeit das halbe Österreich. Gewiß, man konnte sich damit sehen lassen.

Wehmut heischend, wehten mich Oswald Menghins „Zerrissene Fahnen“ an, die grünweiße der Schützen, die rotweiße Tirols. Wieder fiel mir der Großvater ein, und wie von selbst trat ein biederer, pflichtfreudiger Standschütze auf mich zu. Sein Sohn hieß — Lois. Der erste Romanheld meines Namens war geboren, Hef^ tigste Zuneigung erfüllte mich zu Verfasser und Buch. Dann erschrak ich: Lois war der Stürzende, Auflösende, der Un-held.

Ernstlichen Kummer brachten die Mädchen. Damals hieß man Sepp, Hans, Heinz oder schon Helmut, Peter, Gerhard. Aber — Alois? — „Wann ist das überhaupt?“ — „Wenn auf allen Bergen Feuer brennen!“ — Erstaunte Verwirrung. — Ja, Sonnwend war meine flammende Rache!

Ein Steirer wurde mein Schwager und hieß auch so. Als ich das Taufpatenamt übernehmen sollte, galt als Bedingung: der Name müsse volksecht sein! Mit einem Lexikonauszug und zwei Wörterbüchern traf ich ein: „Alois, altgermanisch = der Allweise.“ Wollten die Betroffenen noch etwas? Der Taufakt verzeichnete eine Invasion von Aloisen: Täufling, Göd, Vater, Hebamme.

Heftigste Freude schlug aus einem Schaufenster. Einen Dichter meines Namens gab es: Alois Meßmer! Natürlich war er Tiroler. Ich sparte so lange, bis ich mir das Buch kaufen konnte. Aus priesterlicher Jungmännlichkeit leuchteten Herzensadel und Berufung. Die Verse lernte ich auswendig. Doch durfte der Namensbruder nicht zur Vollendung? Die Trauer hierüber war redlich groß.

In der Ostseestadt Wismar hörte ich die Kartoffelschälfrauen einen Soldaten „Allwis“ rufen. Ich stürzte hin und erzählte ihm alle meine Namenserlebnisse vom Liechtensteiner Prinzen angefangen. Der Fassungslose lehnte sich an die Kellerwand:

„Kamerad, ich fürchte, du bist abergläubisch!“

Dann mußte er berichten: Aus Ostpreußen sei er. Dort schrieben sich viele Alois, würden aber Allwis gerufen.

Stolz und Freude sind nicht auszudenken.

Die Wehrmacht bot reiche Umblicke: Der Name kulminiert in Tirol und Bayern. Der bayrische „Alisi“ erinnert an die vaterseits heraufbeschworene Lästerung, gilt aber als unverfängliche, herzliche Koseform. Der Waldviertler Loisei begegnete mir im Schatten der machtvollen Wasserburg Heidenreich-stein.

Die Krönung meiner Ehrenrettung blieb Allwis. Erst allmählich gesellten sich ihm jüngere Vettern zu: Galvani, Senefelder, Negrelli, Maler Schönn, der den Berghirten Peter Rosegger konterfeite, die Maler Pregartbauer und Kasimir, der Dichter Blumauer, die Komponisten Meli-char und Pachernegg, Cadorna, Oberkommandierender Italiens 1915 bis 1918, Bergsteigerprobst Wildenauer und Karl Aloys Schenzinger mit den Riesenzjffern seiner Bände „Metall“, „Anilin“ und „Atom“..

Zuletzt sandte mir Viktor Buchgraber ein strahlendes Wortbild über Aloysius von Gonzaga. Kraftvoll löste es jenes frühe Übel, das durch grell-süßliches Heiligenkolorit angestiftet worden war.

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