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Der Feldwebel Bsocli

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Eines Tages wurde er eingeliefert. Er stammte aus Böhmen — aus dem Protektorat, wie es damals hieß — und hatte eine solche Menge von Dingen auf dem Kerbho'-z, daß ihm aller Wahrscheinlichkeit nach kein anderer Weg mehr offenblieb als der aufs Schafott. (Uebrigens, man mußte nicht viel angestellt haben in der damaligen Zeit, um mit dem Fallbeil Bekanntschaft zu machen. Ein einziges unbedachtes Wort, an dem sicheren Sieg gezweifelt oder gar einen ausländischen Sender gehört, und schon konnte man den „Grünen Heinrich“ um die Ecke biegen sehen ...) Es war im Landgericht zu Regensburg. Bei seiner Einlieferung hatten die Wachtmeister einander mit jenen halb mitleidigen, halb sensationsgierigen Blicken angesehen, die sagten, daß nun wieder einmal einer eingetroffen war. dem das Todesurteil schon auf die Stirne geschrieben stand. Weil er aber alt und von schwächlicher Gestalt war, so ließ man Gnade vor Recht ergehen, sperrte ihn nicht in eine Einzelzelle, wie es eigentlich Vorschrift gewesen wäre, sondern gab ihm — wie uns — Arbeit außerhalb der Zelle. So hatten wir Gelegenheit, mit ihm zusammenzukommen . .. Klein und gebückt, jedoch mit Wieselschritten, lief er, wohin man ihn schickte, und Besen und Schaufel handhabte er mit nicht geringerer Ausdauer und Geschicklichkeit als Rasiermesser und Haarschneidemaschine. Und nur wenn man ihn an sein Alter erinnerte, konnte er zornig werden, wenn man versuchte, ihm eine Arbeit abzunehmen oder ihm das Dasein sonstwie zu erleichtern. „Kein Verdienst, alt zu werden“, polterte er dann los, „kein Verdienst, graue Haare und Runzeln auf der Stirn. Einzig Verdienst im Leben, k. u. k. Feldwebel geworden zu sein und — weise ...“ Wir lachten dazu, aber er machte sich nichts daraus ...

Schon hatten wir beinahe vergessen, daß es auch für ihn einen Verhandlungstag gab, als dieser — urplötzlich und aus dem Hintergrund gleichsam — über ihn, mehr noch, über uns alle hereinbrach. Der weise Feldwebel Bozdena, er war uns trotz seines Alters und trotz seiner Schrullen ganz richtig zum Freund geworden in den langen, vor Kälte klirrenden Wintermonaten, in denen er mit uns zusammengearbeitet hatte ... Klein und mit gekrümmtem Rücken verließ er an der Seite eines riesigen Wachtmeisters das Haus, und weil man, um in das gegenüberliegende Gerichtsgebäude zu gelangen, ein Stück Straße überqueren mußte, so hatte man ihn an beiden Händen gefesselt. Kaum daß wir wagten, ihm nachzublicken. Er aber nickte uns zu und murmelte, mit einem schmalen Lächeln in dem schneeweißen Gesicht: „Einzig Verdienst im Leben ...“

Klein, mit gekrümmtem Rücken und an beiden Händen gefesselt, kehrte er zurück. Wir •wußten nur zu genau, was es bedeutete ... An diesem Abend starrten wir lange vor uns hin, bevor wir ans Einschlafen dachten ... Und er? Aber, verdammt, was war denn aus ihm nur geworden? Aus ihm, dem sonst so Wieselflinken und Weisen? Laut heulend lief er in seiner Zelle auf und ab, wies jedes Essen zurück und jedes gute Wort, und schrie und schluchzte, daß es durchs ganze Haus gellte ....

Tags darauf erhielt er Besuch. Sein Bruder war gekommen, um Abschied von ihm zu nehmen, wie es hieß. Es sei zum Totlachen gewesen, erzählten die Aufseher nachher. Plärrend hätten sich die beiden förmlich ineinander verhängt, und nur unter großen Anstrengungen sei es möglich gewesen, sie voneinander zu trennen. Wie die siamesischen Zwillinge hätten sie ausgesehen ... Natürlich war so etwas verboten, aber was tat es schon, bei zwei solchen Narren ein Auge zuzudrücken. Man wußte nur zu genau, wen man in die eigens dazu eingerichtete Sprechzelle führen mußte und wen nicht. Man wurde Menschenkenner in diesem Haus, und dann, es kürzte die Dienstzeit nicht unerheblich ab, gleich zwei oder drei Paare auf einmal vorzunehmen. Aber, wie gesagt, ausschlaggebend dabei war gewesen, daß man die Menschen voneinander zu unterscheiden verstand. Daß man weise geworden war, wie Bzoch es ausgedrückt hätte. Ihn aber hatte anscheinend nun doch alle Weisheit endgültig verlassen. Tag und Nacht hallte sein Geschrei durch die Gänge. Jedermann gegenüber gelobte er Reue und Besserung, dem lieben Gott gegenüber nicht weniger als dem bluttollen Führer des Reiches. Laut heulend schlug er sich an die Brust und vollführte einen derartigen Lärm, wie wir es noch niemals von einem in ähnlicher Lage vernommen hatten. Kein Heiliger im Himmel, den er nicht anrief, kein auch nur halbwegs einflußreicher Mensch auf Erden, dem er nicht Gefolgschaft und ewige Treue — im Falle seiner Rettung — versprach ...

Gegen Mitternacht des vierten Tages verstummte er plötzlich. Kein Wort, kein Seufzer mehr drang aus seiner Zelle. Still lag das ganze Haus. Aber diese plötzliche, diese so unerwartet hereingebrochene Stille, sie war noch weit furchtbarer, noch weit erregender als das Geschrei von vorher. Unheimlich, wie ein Alpdruck, lastete sie auf uns. Ungeheuerlich und in ihrer Rätselhaftigkeit wie ein dumpfes, unerbittliches Schicksal. Ihr Antlitz war verzerrt, ihr Atem vergiftet ...

Selbst der Aufseher, als er am nächsten Morgen die dünne, ungezuckerte Kaffeebrühe austragen ließ, schüttelte verwundert den Kopf und zögerte merklich, die Türe zu öffnen. Weiß der Teufel, was für ein Anblick sich dahinter darbieten mochte. Zu augenscheinlich war die Verzweiflung des Alten gewesen. Als der Bemützte sich aber dann doch entschloß und die Türe endlich aufflog, da ... Leer lag die Zelle vor i'ns. Wie ausgebrannt. Aus dem vergitterten Fenster fehlte einer der Stäbe. Wo er gestanden, ragte ein armseliger, abgesägter Stumpf aus dem betonenen Sockel. Sprachlos, unfähig, auch nur der geringsten Bewegung, starrte der Aufseher in das — ach so herrliche — Nichts vor sich. Und es dauerte keine geringe Weile, bis er sich endlich wieder soweit in der Hand hatte, einen wenigstens halbwegs vollständigen Satz von sich zu geben. Kopfschüttelnd trat er an das durchlöcherte Fenster heran .. . „Das also ist euer Abschiedsschmerz gewesen“, sagte er und rieb sich nachdenklich das Kinn. „Das also hat dein Geschrei bedeutet ... und dein Geheul ...“

Ohne Zweifel war dem Alten die Feile von seinem Bruder zugesteckt worden bei dessem Besuch, und ohne Zweifel hatte er nur deswegen so laut geheult und geschrien die ganze Zeit über, um durch diesen Lärm das Geräusch seiner sonstigen Tätigkeit zu übertönen ...

Wir waren viele Stunden lang glücklich ...

Man hat nie mehr wieder etwas gehört von ihm und auch auf den täglichen Hinrichtungslisten tauchte sein Name nicht auf ...

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