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Jochen Hörisch und seine Apotheke für die geistige Gesundheit.

In einem Punkt sind wohl die meisten von uns - trotz manch verklärter Vorlieben für historische Epochen - froh, in der Jetztzeit zu leben. Nämlich dann, wenn es uns buchstäblich an den Kragen geht. Noch nie hat uns die Medizin so viel Sicherheit gegeben wie heute und durch den Dschungel der zahlreichen Pülverchen, Zäpfchen, Pillen und Säfte leitet uns das beruhigende Emblem: "Zu Wirkung und unerwünschten Nebenwirkungen informieren Sie Gebrauchsinformation, Arzt oder Apotheker!"

Wie praktisch wäre es, gäbe es auch für die geistige Gesundheit, die philosophische Orientierung, eine kleine Hausapotheke. Der Mannheimer Literaturwissenschafter Jochen Hörisch hat eine kompakte Theorie-Apotheke samt Beipackzettel verfasst. In äußerst gelungenen zweiunddreißig Essays - schön alphabetisch geordnet von Analytischer Philosophie bis zur Zivilisationstheorie des Norbert Elias - stellt er humanwissenschaftliche Theorien und ihre Wirkung vor. Im Beipackzettel wird in erfrischend subjektiver Weise die Dosis empfohlen, Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiken aufgezählt. Diese Apotheke ist ganz nebenbei auch ein schönes Beispiel dafür, wo denn wirklich die Erste-Hilfe-Kompetenz in unserer unüberschaubar gewordenen Welt liegt. Nicht in den "Hardcore-Wissenschaften", sondern in den früher bescheiden als Geisteswissenschaften bezeichneten Disziplinen. Man sucht Orientalisten und Byzantinisten, Historiker, Islamwissenschaftler, die guten alten Soziologen und sogar Ägyptologen und Theologen, um das Bauchgrimmen zu lindern, das die Konflikte am Balkan, der weltweite Terrorismus, die brennenden französischen Vorstädte, der Beitritt der Türkei zu Europa, ein zeitgemäßes Erinnerungskonzept und vieles mehr verursachen.

Doch wie überall gilt auch hier, dass Vorbeugen besser ist als Heilen. Hörischs Sammlung sollte man daher als rezeptfreie Arzneien und Nahrungsergänzungen benutzen zur Stimulierung des Immunsystems, als Aufbaupräparate und Beiträge zum Anti-Aging-Programm. Längst haben wir uns von der Vorstellung verabschiedet, dass eine einzige Arznei, sprich Theorie, die Welt- und Lebensprobleme dauerhaft und endgültig lösen kann. Solches wäre nur mit dem Ende der Kultur und der Kommunikation zu haben. Das Geheimnis des Wohlbefindens liegt vielmehr im richtigen Mix. Dabei kommt es bisweilen zu Unverträglichkeiten, etwa wenn bei Hörisch die Analytische Philosophie neben der Anarchistischen Erkenntnistheorie im Regal steht.

Bei der Diskussion der Wechselwirkungen und angesichts der Vorliebe mancher zur Überdosierung kann Hörisch manchmal ganz schön giftig sein. Die Analytische Philosophie etwa sei vor allem jenen zu empfehlen, die Sicherheit suchen im Leben und diese in den bekannten logischen Trivialitäten auch finden. Wer diese Zeitgeistdroge überdosiert - so weiß der Autor aus seiner Praxis zu berichten - verliert in der Regel öfters die Contenance als Hegelianer oder Dekonstruktivisten.

Wie es der Gesundheit durchaus zuträglich sein kann, wenn man die strengen Geleise der so genannten Schulmedizin verlässt und komplementäre Heil- und Wohlfühltherapien genießt, so ist auch manch eine Theorie zwar akademisch veraltet, ihre Begründung umstritten, aber sie wirkt in der Lebenswelt ganz ausgezeichnet wie der gute alte Humanismus. So ist dieses herrliche Kompendium von Hörisch nichts weniger als ein Arzneischrank, der der ältesten und sympathischsten Bestimmung der Philosophie verpflichtet ist, Elixier für das gute Leben zu sein.

Theorie-Apotheke

Eine Handreichung zu den humanwissenschaftlichen Theorien der letzten fünfzig Jahre, einschließlich ihrer Risiken und Nebenwirkungen

Von Jochen Hörisch

Eichborn Verlag, Frankfurt 2004

323 Seiten, geb., e 27,70

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