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Eucharistie, Geld und Neue Medien als die drei großen Leitsysteme unserer Kultur - mit diesem Horizont ist Jochen Hörisch zu einem der bedeutendsten Medientheoretiker des deutschen Sprachraumes geworden. Im Furche-Gespräch geht es um das Religiöse in der Mediensphäre und um das zukünftige Verhältnis zwischen Mensch und Medien.

Die Furche: Herr Hörisch, Sie sprechen von drei großen Systemen, von denen der Ausschluss für den Einzelnen lebensbedrohlich war bzw. ist: Eucharistie, Geldkreislauf und Neue Medien. Was funktioniert gleich, was unterschiedlich in diesen drei Systemen.

Jochen Hörisch: Gleich ist das Design. Wir haben runde, geprägte Hostien, die werden limitiert, nicht jeder darf sie herausgeben, es muss ein Priester sein, der für die Wandlung sorgt, wir dürfen auch nicht unser Geld drucken.

Die zweite Ebene ist gewiss bedeutender: Man ist teilnahmepflichtig zur Zeit, wo diese Medien herrschen, sonst wird man exkommuniziert, und schon dieser schöne theologische Begriff macht aufmerksam, dass die Eucharistie ein Massenmedium ist - wohl das erste teilnahmepflichtige Massenmedium in unserer Kultur. Beim Geld kann man denselben Test machen: Man kann Geld zwar kritisieren, man kann es aber nicht vermeiden. Und heute zu sagen: Ich habe keinerlei Kontakt mit den Medien, ist unglaubbar, das gilt nicht einmal für den Einödbauern, auch er hat Kopfhörer, Radio und E-Mail.

Die Furche: Die katholische Kirche hat noch eine Norminstanz gebraucht, musste Exkommunikationen aussprechen. In den beiden anderen Systemen funktioniert das von selbst.

Hörisch: Ja, die sind auf eine seltsame Weise weniger autoritär, die Medien übernehmen gewissermaßen selbst die Herrschaft. Es gibt keine Herrschaft mehr über die Medien, sondern die Medien herrschen. Das ist bei der Eucharistie noch anders.

Die Furche: Bringt eigentlich ein System das andere zur Erosion oder hat etwa die Eucharistie nach wie vor Bedeutung - der Geldkreislauf ja sicher.

Hörisch: Es ist einer der wenigen Sätze, denen alle zustimmen müssen, die Medientheorie und Medienanalyse machen, dass neue Medien alte Medien noch nie überflüssig gemacht haben. Das heißt, auch im Medienzeitalter kann man Gott sei Dank - ich bin Mitglied der Kirche, ich will also keine dummen Kirchenprovokationen machen - ungestraft zur Kirche gehen. Nur der Systemplatz von Kirche und Eucharistie ist ein anderer. Es steht zur Disposition, ob man daran teilnimmt oder nicht.

Das Geld ist das klassische Massenmedium der Moderne. Das grundiert auch die ganze Mediensphäre, die ja bekannterweise sehr kapitalintensiv ist. Aber auch das Geld hat einen Wandel durchgemacht. Wir zahlen heute mit Kreditkarten, also mit unseren guten Namen. Geld selbst nimmt eine andere Gestalt an, es wird elektronisches, immatrielles Geld.

Es gibt jeweils ein Leitmedium, das auf der Höhe der Zeit ist und das bestimmt, welche neuen Systemplätze die alten Medien - also Geld bzw. Eucharistie bekommen.

Die Furche: Welchen Platz weist nun die CD-Rom dem Geld und der Eucharistie zu?

Hörisch: Dem Geld die Rolle des allgemeinen Begleitmediums. Man kann Geld offenbar nicht vermeiden. Man kann ja auch die Krise des neuen Marktes nach diesem enormen Aufschwung als Rache der Old Economy sehen: die alte Ökonomie schlägt zurück und zeigt den jungen Fuzzis aus dem Mediensektor, dass das gute alte Geld immer noch zählt.

Wahrscheinlich gilt Ähnliches auch für den Religionssektor. Der 11. September ist das Schreckensdatum dafür. Es ist nicht so, dass alle Weltgegenden akzeptieren, dass der religiöse Sektor der anachronistische, abgegoltene Sektor ist.

Die Furche: Ist im je neuen Leitmedium etwas von den alten präsent?Hat die Mediensphäre etwas Religiöses?

Hörisch: Ja, eindeutig. Es ist wirklich auffallend, wie viel Theologie in der Geldsphäre steckt: Wir sind Schuldner und Gläubiger, ich nehme einen Kredit auf, ich leiste einen Offenbarungseid, ich gehe zur Messe - und da muss ich fragen: Ist es die Handelsmesse oder das Hochamt? Ich erziele einen Erlös für die Ware, die ich verkaufe - das kommt von Erlösung.

Und ähnlich viel Theologie steckt in der Mediensphäre: Sendung, Kommunikation, frohe Botschaft - Sie merken, wie eng auch in der Grundbegrifflichkeit die Verbindungen sind.

Die Furche: Was passiert mit dem, der sich der Medienszene verweigert?

Hörisch: Ich muss immer an das schöne Wort von Robert Gernhardt denken, der gesagt hat: "Ich habe unheimlich der Medien verweigert, es hat bloß keiner wahrgenommen." Also man kann das machen, aber der Preis ist hoch, das weiß auch die Kirche - es gibt ein Homepage des Vatikans. Alle großen religiösen Ereignisse waren eigentlich Medienereignisse: Paulus ist ein Medienfreak und bedient sich des römischen Postsystems. Luther ebenfalls, er ist hellauf begeistert von dem, was man mit Flugblättern, mit dem Buchdruck machen kann. Und die Telegenität von Papst Johannes Paul II. bedarf auch keines Kommentars. Auch Ajatollah Khomeini war einer, der mit Medien umgehen konnte. Es gibt eine ganz intime Verbindung von Religionssphäre und Mediensphäre. Das wussten auch die Terroristen vom 11. September.

Die Furche: Man spricht oft von Overkill an Informationen und Bildern. Sind wir fähig, das zu verarbeiten, was die Medien bieten?

Hörisch: Unsere Möglichkeit, Zeichen, Informationen wahrzunehmen, sind sicherlich nicht bedeutend größer als zur Goethezeit. Die Fülle der Informationen auf verschiedenen Kanälen ist exponenziell gestiegen. Die Antiquiertheit des Menschen, dieses große Wort von Günter Anders - es ist schon richtig: Wir sind abgehängt, wir kommen da nicht mehr mit. Deswegen brauchen wir Komplexitätsreduktionen. Wir machen das in der Regel über Brandmarks. Man weiß: Die Furche ist eine hervorragende Zeitung, Ö1 ist hervorragend oder der Suhrkamp Verlag. Ein anderes Überleben kann es für den Einzelnen gar nicht geben.

Die Furche: Welche Zukunft des Verhältnisses zwischen Mensch und Medien erwarten Sie?

Hörisch: Eine verrückte, aber von einigen bereits angetestete Grenze ist, dass wir wirklich MenschMedien-Überschneidungen haben, dass man sich etwa eine Festplatte einpflanzen lässt, dass Blinde mit Medienaufrüstung sehen können. Die andere Möglichkeit wäre, dass Menschen sich ihres anachronistischen Status besinnen und sagen: Wir nutzen die Medien zu Verlangsamungstechniken. Und ich finde, beide Entwicklungen laufen parallel. Es gibt ja auch die Tendenz, sich zurückzuziehen, Körperkult zu machen, Wein zu trinken, nachzudenken - alles, was unter dem Label "Aussteiger" läuft. Das Interessante ist, dass natürlich auch noch das Aussteigertum medial präsent ist.

Das Gespräch führte Cornelius Hell.

Medien-Historiker auf religiösen Spuren

Jochen Hörisch, Professor für Neuere Germanistik und Medienanalyse an der Universität Mannheim, ist mit einer materialreichen und eloquent erzählten Trilogie über die abendländischen Leitmedien bekannt geworden: "Brot und Wein - Die Poesie des Abendmahls" (1992), "Kopf oder Zahl - Die Poesie des Geldes" (1996) und "Das Ende der Vorstellung - Die Poesie der Medien" (1999, alle drei als Suhrkamp Taschenbuch).Hostie, Münze und CD-ROM - drei runde Scheiben stehen im Mittelpunkt jener Systeme, denen sich der Einzelne nicht entziehen konnte bzw. kann. 2001 hat Jochen Hörisch in der Anderen Bibliothek unter dem Titel "Der Sinn und die Sinne" eine Geschichte der Medien vorgelegt.

Hörisch hat in Düsseldorf, Paris und Heidelberg studiert und war Gastprofessor in Klagenfurt,

Paris und in den USA (u. a. in Princeton).

Er hielt das Eröffnungsreferat bei den diesjährigen Alpbacher Mediengesprächen.

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