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Literarischer Rundfunksommer

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Das Hauptgewicht der letzten Wochen lag erstaunlich unsommerlich — auf den Wortsendungen, die auch beachtliches Niveau aufwiesen; zusammenhängend damit macht sich auch das Fehlen sommerlicher Nichtigkeiten angenehm bemerkar. Einzig M. Pontes „Der Traum“ (Ravag) versuchte, die obskure Frage einer Verbindung mit Verstorbenen im Traum ernsthaft aufzurollen, ergab aber nur ein albernes, rundfunkmäßig hilfloses und schlecht gebrachtes Hörtheater. Der gleiche Sender bescherte dafür eine selten vorzügliche Sendung des „Taschentheaters von Jean Cocteau, eine Sammlung kleiner Kunstwerke, die fast durchwegs den richtigen Ton fand und besonders in einem Chanson (Erika Juster) und im Rundfunfcballett (!) entzückte — eine leichte wie tiefsinnige, literarisch und rundfunkmäßig glänzende Sendung. (Muß dazu erst der Sommer kommen?) RWR brachte einegute Rundiwikbearbeitung von. Harald Zusa- neks preisgekröntem Stück „Die Straße nach Cavacere’, das in Italien bei der großen Po- Überschwemmung spielt und in dieser symbolhaft das Schicksal der Welt zeigt: Angst, Gottvertrauen, tiefste Ungesichertheit, Ent- blößtheit der Seele und Unrettbarkeit.

Der Peter-und-Paul-Tag wurde von der Ravag mit Rudolf Henz’ „Er widerstand ihm ins Angesicht“ bemerkt, einer Auseinandersetzung zwischen Petrus und Paulus über das Juden- und Heidenchristentum, das im Neuen Testament verschmilzt; eine mitreißende, scharf pointierte Szene. Des 50. Geburtstages von Günther Weisenborn gedachte die Ravag mit seinem Hörspiel „Die Neuberin“, die als die Mitbegründerin des deutschen Kunsttheaters in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelten kann; obwohl eine Wiederholung, rechtfertigt die ausgezeichnete Interpretation (Regie Dr. Hans Nüchtern) zweifellos die Aufführung.

RWR brachte eine geraffte Aufführung von Reinhold Lenz’ „Die Soldaten“, eines typischen Dichters des Sturm und Drang, mehr literarisch interessant als unmittelbar berührend. — Die Frau zwischen zwei Männern, deren einen sie liebt, während der andere als Schwerverletzter ohne Gesicht sie braucht, Jahre nach dem Krieg und doch mit diesem immer noch verknüpft — das ist das Thema des Hörspiels „Das Gesicht“ von Walter Bauer (RWR, Salzburg). Leider wurde das Problem nicht bewältigt, es blieb bei oberflächlicher Behandlung und brachte statt einer Lösung bloß einen (unbefriedigenden) Schluß. Auch die große Leistung von Marianne Hoppe konnte die rundfunkdramatisch schwache Form des erzählenden Dialogs nicht verdecken.

Daß auch Sommersendungen Niveau, herzlichen Humor und guten Geschmack haben können, bewies die neueste Sendung der Reihe „Die Radiofamilie“ (RWR), deren Angehörige diesmal verreisten und eine Menge lustiger und turbulenter Sachen erlebten.

Diese Flut von guten, gehaltvollen, interessanten Sendungen während der Hitzewelle gehört zu den ebenso erfreulichen wie unlösbaren Rätseln des Rundfunks.

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